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Phantastisch, unbeschreiblich, phänomenal -
so oder ähnlich lautet immer das Fazit von Teilnehmern beim
London-Marathon.
Dieses Attribut kommt einem Läufer immer relativ leicht über die Lippen,
wenn er eine persönliche Bestzeit gelaufen ist oder mit seinem Lauf
einfach nur zufrieden war. Diese Wertschätzung des London-Marathons gilt
aber auch, wenn es einmal nicht so gut gelaufen ist, wie nachstehender
Bericht hoffentlich aufzeigen kann.
Mit dem Ziel, eine Zeit unter 3:40 h zu laufen (wenn ich ehrlich bin,
hatte ich insgeheim auch mit einer „sub 3:30“ gerechnet), machte ich
mich Samstag auf den Weg nach London. Meine Frau und mein dreijähriger
Sohn begleiteten mich zum Frankfurter Flughafen und wünschten mir alles
Gute. An dieser Stelle auch mal herzlichen Dank dafür, insbesondere aber
für die Unterstützung in der Vorbereitungszeit.
Nachdem ich in London angekommen war, ging es mit der U-Bahn direkt in
das in Bayswater (nähe Hyde-Park) gelegene Hotel und danach auf die
Marathonmesse, die im Excel Exhibition Centre stattfand. Wenn man
Frankfurt als „den Marathon der kurzen Wege“ bezeichnet, darf man London
getrost mit dem Titel „Marathon der langen Wege“ versehen.
Die Startnummernausgabe für „Overseas“ verlief problemlos, obwohl in der
„rush hour“ die Messe total überfüllt war. Auch die Pasta-Party war
schon eine Stunde vor Schließung der Messehalle „sold out“. Ein eher
schwaches Bild, wenn man Vergleiche zum Konkurrenten Berlin-Marathon
zieht.
Den Abend verbrachte ich in einigen Pubs in Notting Hill bei „fast food“
und englischem Bier. Wahrscheinlich der erste Fehler in bezug auf den
morgigen Tag, denn das Aufladen der Kohlehydratspeicher gehört ja
eigentlich zum Pflichtprogramm für Marathonis.
Am nächsten Morgen ging es sehr früh los: Der Start ist außerhalb der
City of London, nämlich im Greenwich Park - einer sanften
Hügellandschaft wie es im Reiseführer stand – und am besten mit dem Zug
erreichbar. Der Tipp, die erste Station „Charing Cross“ zu nehmen, war
Gold wert, denn hier war der Zug noch leer. Bei den nächsten
Zusteigebahnhöfen „Waterloo East“ und „London Bridge“ sollte sich dieser
Zustand geradezu ins Gegenteil verkehren. Es erinnerte mehr an einen
Viehtransport, so eingepfercht standen die Läuferinnen und Läufer. An
der Station „Greenwich“ hieß es aussteigen und ca. 20 Minuten zu Fuß in
den jeweiligen Startbereich zu gehen.
Da in London mehr als 40.000 Teilnehmer an den Start gehen, ist dieser
in drei Farben unterteilt: rot, blau und grün. Nach ca. 5 km werden die
drei Strecken zusammengeführt, um das Feld etwas zu entzerren.
Die Startbereiche sind mit Umkleidezelten, Getränkestationen,
Toilettenwagen und Kleiderbeutelabgabe hervorragend organisiert. Ebenso
die Startboxen, wo absolut streng kontrolliert wird. Läufer, die sich in
einen schnelleren Block reinmogeln wollen, werden höflich aber bestimmt
abgewiesen.
Die Stimmung vor dem Start war bestens, viele kostümierte Läufer waren
zu beobachten, und die Zeit bis zum Start verging wie im Flug. Schon
jetzt war es sehr warm. Der Sprecher sprach von sehr schönem Wetter
zwischen 15 und 20°c. Ideal für die Zuschauer, aber nicht unbedingt mein
Traumwetter, um einen Marathon zu laufen.
Kurz vor dem Start werden die Startblocks zusammen-geschoben, und es
geht durch ein Parktor nach links an den Start. Pünktlich um 9.45 Uhr
ertönt die Startsirene. Londons Strecke gilt als „flat and fast“, auf
den ersten drei Meilen kann ich dies absolut nicht bestätigen. Ein
ständiges Auf und Ab zehrt schon zu Beginn des Marathons an den Kräften
und lässt so keinen flüssigen Laufrhythmus aufkommen.
Ungefähr nach drei Meilen treffen die Reds auf die Blues & Greens, was
mit heftigen Buhrufen von beiden Läufergruppen quittiert wird. Jede
Straßenseite stimmt den Londoner Schlachtruf „ogi - ogi - ogi“ - „oi -
oi - oi“ an. Die „Blues“ waren heute eindeutig lauter, das muss man als
„Red“ neidlos anerkennen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr: 5er Schnitt oder besser 8:00 min/Meile,
alles im grünen Bereich. Das erste Highlight bei Meile 6: Die Umrundung
des Teeklippers Cutty Sark. Die Zuschauermassen, die uns Läufer hier
anfeuern, lassen Gänsehautfeeling aufkommen. Aber schon jetzt, also nach
knapp 10 km, sind die Beine nicht mehr ganz frisch. Nichts-destotrotz
wird weiterhin das 8er-Meilentempo durchgezogen.
Das Highlight des ganzen Laufes ist m.E. genau bei km 20: die
Überquerung der Tower-Bridge. Was hier abgeht kann, man nicht
beschreiben, man muss es selbst erleben. Die BBC ist live dabei und
interviewt einzelne Läufer. Tausende von Zuschauern - man sollte sie
besser als Fans bezeichnen - stehen in 10er Reihen dicht gedrängt an den
Strassen und veranstalten ein Höllenspektakel.
Halbmarathon in 1:44 h, für heute deutlich zu schnell, wie sich kurze
Zeit später noch rausstellen sollte.
Der größte Moment für mich spielte sich zwischen Meile 12 und 13 ab: Der
Hubschrauber mit dem Führungsfahrzeug tauchte auf und auf einmal kam die
Spitze mit Paul Tergat & Co. dem Massefeld zwischen Meile 21 und 22
entgegen. Ich brüllte ein kräftiges „Gooooooo“ den Weltklasseläufern,
die vielleicht ein zwei Meter von mir entfernt waren, entgegen. Masse
trifft Klasse, das gibt es nur in London.
Eigentlich könnte ich meinen Bericht hier beenden, denn mein
eigentlicher Lauf war bei Meile 15 schon beendet. Blöd war nur, dass
noch über 9 Meilen zu laufen waren. 3:30 h kann ich auch noch im Herbst
laufen, Hauptsache Bestzeit von 3:40 h. Alle Pläne mussten auf den
verbleibenden Meilen revidiert werden. An jeder Meile musste ich einen
Getränkestopp einlegen und einige hundert Meter trinkend zu Fuß gehen.
So viel musste ich noch nie bei einem Marathon an Flüssigkeit aufnehmen.
War es die fehlende Verpflegung in Form von Bananen oder Energieriegeln,
waren es die hohen Temperaturen, fehlender Biss, falsche Vorbereitung
oder hatte ich einfach nur einen schlechten Tag? Vielleicht ein Mix aus
allem.
So beschloss ich, die verbleibenden Meilen nur noch zu genießen, sofern
man dies bei einem Marathon überhaupt kann. Am Canary Wharf Tower, dem
höchsten Gebäude Englands, rechnete ich mir aus, dass es auf alle Fälle
für unter 4 Stunden reichen wird. Nunmehr also mit 6er Schnitt joggend,
ging es am London Eye (Riesenrad und neues Wahrzeichen Londons) vorbei,
Richtung Big Ben, Westminster Abbey, am Buckingham Palace vorbei. Letzte
Kurve, da war auch schon das Ziel: 3:54 h, na ja was soll’s.
Ein toller Marathon mit einer für mich schwachen Zeit war zuende. Ein
Marathon, der mich wieder durch alle Höhen und Tiefen geführt hat. Doch
wie heißt es frei nach Sepp Herberger? Nach dem Marathon ist vor dem
Marathon.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich die vorbildliche Betreuung nach dem
Zieleinlauf. Sofort nach dem Entfernen des Leihchips bekommt man die
sehr schöne Medaille umgehängt. Jeder Läufer wird mit Applaus und
herzlichen Worten zu seiner Leistung beglückwünscht. Ebenso ob alles in
Ordnung sei oder ob man medizinische Hilfe benötige. Der „goodie-bag“
mit der Zielverpflegung ist ausreichend und die Kleiderbeutelausgabe
geht rasend schnell. Lediglich das Durchkämpfen bei den
„Familientreffpunktsammelstellen“ und den doch weiten Fußmarsch zur
nächsten U-Bahn-Station empfand ich als lästig.
Zwei Tage danach überwiegt nun die positive Stimmung eines
phantastischen Marathonwochenendes, das ich auf keinen Fall missen
möchte. Wie sagte doch ein österreichischer Lauffreund: Das Feeling ist
wichtiger als die Zeit. Direkt nach Zieleinlauf wäre ich mit dieser
Aussage nicht einverstanden gewesen. Heute weiß ich, wie recht er hatte.
Auch verstehe ich erst jetzt, warum sich mehr als 100.000 Läufer für
diesen City-Marathon bewerben. Wer Berlin oder Köln gelaufen ist, denkt
diese Veranstaltungen sind von der Atmosphäre und der Stimmung am
Straßenrand nicht zu toppen. London jedoch übertrifft sie alle!
Übrigens, dem guten Paul Tergat erging es auch nicht viel besser. Als
Topfavorit gehandelt wurde er mit einer 2:11.38 h nur Achter, ebenso
konnte der Vorjahressieger Evans Rutto mit seinem zehnten Platz (2:12:49
h) nicht zufrieden sein. Besser machte es da schon der Sieger Martin Lel
aus Kenia, der den Jubiläumsmarathon souverän in 2:07:26 h gewann.
Bei den Frauen ist Paula Radcliffe natürlich das Maß aller Dinge. Sie
siegte mit fast fünf Minuten Vorsprung in 2:17:42 h. Bemerkenswert finde
ich, dass sie der Drittplazierten Susan Chepkemei mehr als sechs Minuten
abnahm, in New York waren es vergangenes Jahr nur vier Sekunden.
19. April 2005 – Claus Tröbliger
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