Embankment mit Blick aufs London Eye.
Macht es uns schwerer und tut Gutes dabei.
Im Ziel: Wo hängen diese Zwei die Medaillen hin?
Das ist doch mal ein exclusive Startnummer.
Paula zum Dritten.
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London ist für mich das wichtigste Rennen des Jahres. Doch beinah wäre
es mir diesmal ergangen wie manchen großen Namen. Khalid Kannouchi und
Haile Gebrselassie hatten ihren gutbezahlten Start absagen müssen. Wir
Mittelfeldläufer haben immerhin den Vorteil, dass wir einfach eine halbe
Stunde langsamer laufen können, wenn die Vorbereitung daneben ging. Und
gut bezahlen tun wir selber, ganz besonders in London. Gerade noch
rechtzeitig hatte mich ein Bochumer Wunderheiler fit gemacht für meinen
6. London-Marathon, nachdem ich 5 Wochen fast völlig auf das Training
verzichten musste.
Knapp 100.000 Laufwillige hatten sich für diesen Marathon beworben.
46.000 Startnummern wurden vergeben. Das war schon im Oktober letzten
Jahres. Diese Zeitspanne erklärt den Läuferschwund, mit dem der
Veranstalter offensichtlich kalkuliert. Knapp 36.000 gingen schließlich
an den Start.
Dieser 17. April 2005 hätte nicht besser beginnen können. Keine Wolke am
Himmel, langsam erwärmt die Sonne die klare Luft. Ich habe meine Ziele
zwangsläufig zurückgesteckt und halte mich im dritten von neun
Startblöcken im Hintergrund. Sehr streng kontrolliert wurde der Eintritt
in den Läuferkäfig. Wer es darauf anlegt, sich nach vorn zu mogeln, hat
dazu später aber durchaus seine Chance, wenn das Feld in Bewegung kommt.
Ich brauche diesmal über eine Minute bis zur Startlinie, die erste Meile
ist trotzdem unter dem berechneten Schnitt für die Endzeit 3:45.
Auf den ersten Kilometern unserer roten Strecke sind einige deutliche
Bodenwellen zu überwinden. Das ist doch mehr als ich in Erinnerung
hatte, und es regt sich gleich das schlechte Gewissen, ich könnte meinen
Lieblingslauf für die Mitläufer mal wieder zu schön gemalt haben. Mein
neuer Hightech-Pulsmesser hat auch einen Höhenmesser, und der ist
unbestechlich: 145 Höhenmeter zeigt er später für den Marathon
von unserem roten Start aus. Der blaue, wo die Elite startet, wird etwas
weniger haben. Trotzdem ist London damit sicher die schwerere Strecke im
Vergleich zu Rotterdam, Chicago und Berlin.
Nach unbeschwertem Beginn und einigen Serien von abgeklatschten
Kinderhänden machen sich plötzlich Schmerzen in meinem rechten Knie
breit. Lag das vielleicht am schrägen Asphalt? Ich wechsle die
Straßenseite, versuche den Laufstil zu variieren, mache seltsame
Hebeschritte zur Abwechslung. Das dauert etwa 3 Kilometer, dann ist der
Spuk vorbei. Zwischendurch war mir das Dauerlächeln schon verloren
gegangen, jetzt kommt es zurück.
Bei Meile 8 liegen Chipmatten auf der Straße, damit Fotos für jeden
Läufer synchronisiert werden können. Ich laufe 50 Meter mit hoch
erhobenen Armen auf die Brücke mit den Fotografen zu und belustige damit
die Zuschauer. Aber diesmal bin ich bestimmt besser auf dem Bild zu
sehen!
Immer wenn ich am Straßenrand laufe, sehen die Zuschauer mein Schild auf
der Brust und feuern mich mit Namen an. Wohl einige Hundert Male hebe
ich heute meinen Arm, um mich zu bedanken.
Km 20: Tower Bridge. Ein Bild, das den meisten Läufern feuchte Augen
macht. Traumkulisse und Massen von euphorischen Zuschauern.
Am Ende der Brücke warten wieder die Fotografen auf die Läufer.
Vergeblich versuche ich mich im dichten Läuferfeld vor die Kameras zu
drängen. Schade, hier wird das wohl nichts mit dem Bild.
Am Tower biegen wir rechts ab auf den vierspurigen Highway. Auf der anderen Seite
kommt uns jetzt die Spitze entgegen. Marathonchef David Bedford,
unverkennbar mit seinem weißblonden Haarschopf und dem langen Schnäuzer,
steht im offenen Führungsfahrzeug und nimmt die Huldigungen der Läufer
entgegen wie ein König von seinem Volk. Man sieht ihm an, dass er es
genießt. Auch ich bedanke mich lautstark bei ihm und vergebe ihm für
einen Moment, dass er von Ausländern Wucherpreise für die Startnummer
verlangt.
Die führenden Männer fliegen auf der anderen Straßenseite an uns vorbei.
Ich erkenne nur Paul Tergat als Dritten in der Spitzengruppe. Mit
einigem Abstand kommt Mouaziz hinterher. Dazwischen immer wieder einzelne
Elitefrauen, wahrscheinlich Clubläuferinnen, die an den Britischen
Meisterschaften teilnehmen.
Bei der Halbmarathon-Marke bin ich 4 Minuten unter meinem vorsichtigen
Zeitplan. Wer weiß, wie es mir in einer Stunde gehen wird ... Also
besser jetzt das Handy greifen und den Kontakt von Marathon zu Marathon
herstellen.
Beim Karstadt-RuhrMarathon von Dortmund nach Essen
laufen heute gleichzeitig Hunderte meiner Arbeitskollegen. Ich war für
sie als Laufpate tätig, hab mit Ihnen gemeinsam trainiert und bei der
Vorbereitung geholfen. Meine Wahl musste natürlich trotzdem auf London
fallen. Das tat schon weh, daheim nicht mitlaufen zu können, aber lange
überlegen musste ich nicht. Aus Solidarität laufe ich jetzt hier in London
auch im BP-Trikot, genau wie die Kollegen im Ruhrgebiet.
Am anderen Ende meldet sich Susanne. Sie ist in Dortmund 45
Minuten früher gestartet und jetzt bei km 24. Bei unserem
länderübergreifenden Wettkampf werde ich also gleich an ihr
vorbeiziehen.
Am Ende der langen Geraden geht es rechts ab auf die Isle of Dogs,
erstmals gegen den Uhrzeigersinn. Die Straße ist schmal und wird noch
zusätzlich durch Flatterband verengt. Es wird nicht ganz klar, was der
Grund dafür ist, vielleicht will man eine Gasse für Rettungsfahrzeuge
freilassen. Jedenfalls wird es hier so eng, dass wir als 3:45-Läufer
mehrmals bremsen müssen. Die Organisatoren hatten behauptet, dass die
Strecke durch die Änderungen schneller wird. Hier sieht es nicht so aus.
Dann begrüßt mich Holger Lösch aus München. Wir kennen uns schon
per email. Holger hat eine der 15 Startnummern von Unicef UK ergattert.
Er dürfte der einzige deutsche Läufer sein, der heute wie so viele
Briten für eine Charity läuft. Wir laufen 2 km gemeinsam, und Holger
staunt, wie oft ich persönlich angefeuert werde. Mein Namensschild vorn
auf der Brust ist ja auch wirklich nicht zu übersehen.
Vorn entdecke ich eine kleine, drahtige Läuferin mit einem Rückenschild
"Run Paris to London". Das ist Sabine Weiss aus Deutschland,
immer noch flott unterwegs. Von den 4 Deutschen, die alle diese
Ultra-Laufwoche erfolgreich beenden, ist sie die schnellste. Sie finisht
heute mit 3:41, eine Woche zuvor in Paris waren es noch 3:57, und
zwischendurch lief sie täglich einen Marathon bis nach London!
Die Isle of Dogs zieht sich ganz schön in die Länge. Mir helfen
gelegentliche Sprechchöre "Uli-Uli-Uli", manchmal langgezogen wie
Ruuuuudi. Die Zuschauer in London waren immer schon extraklasse, aber so
gut aufgelegt wie heute hab ich sie noch nie erlebt. Das ist ein
Tollhaus - aber schön.
Dann schon wieder eine Begegnung. Von hinten nähert sich Frank Biesold,
und nach kurzer Begrüßung erklärt er mir, woher er mich kennt. "Du bist
schuld, dass ich hier bin!" Auch ein nettes Kompliment für meine
website.
Die Luft wird allmählich knapp, und die Beine schmerzen. Immer mehr
Läufer werden zu Gehern. Auch da vorn rechts einer, der ein Trikot der
Konkurrenz von Shell trägt. Sofort erwacht mein Wettbewerbsdenken. Doch
gerade als ich zum Überholen ansetzen will, rappelt er sich wieder auf
und zieht davon. Es dauert aber nur ein paar Minuten, dann ist seine
Energie wieder am Ende. Ich werfe ihm ein grinsendes "Come on, Shell" an
den Kopf und zeige mit dem Daumen auf mein BP-Logo. Er guckt mich aber
nur mit glasigem Blick an, und ich sehe ihn nicht wieder.
Km 35: Etwa hier hat Paula Radcliffe vorhin ihren öffentlichen
Toilettengang verrichtet. Während die BBC die Szene höflich nur aus dem
Hubschrauber verfolgte, waren die Boulevard-Zeitungen am Montag weniger
zimperlich in ihrer Bericht-erstattung. Wie die Zuschauer an der Bande
reagierten, ist nicht überliefert.
Am Embankment geht es mir nicht besser als Paul Tergat. Hier habe ich jedes Jahr meinen Durchhänger. Ich übe mich
in positivem Denken, bedanke mich immer wieder mit einem Lächeln für die
Anfeuerungen. Selbst wenn mich niemand anfeuert, lächle ich einfach
weiter. Steffi aus der interAir-Fangruppe bezeichnete das allerdings als
Grinsen. Damit lag sie wohl nicht so falsch. Egal - Hauptsache, es wirkt
nach innen.
Der Rest ist nur noch Genuß. Big Ben, Westminster Abbey, königlicher
Birdcage Walk und Buckingham Palast. Zielgerade. Ich nehme mir die Zeit,
noch auf den freiesten Zielkanal zu wechseln. Ich wißt schon: Ich will
aufs Foto.
3:43. Ich bin noch frisch genug, um jedem Helfer dankend auf die
Schulter zu klopfen. Weiter hinten wartet Achim mit seinem
interAir-Bierstand. Ich gönne mir ein Fläschchen. Das genügt, um den
Nachmittag selig schlafend im St.-James-Park zu verbringen.
Abends im Pub treffe ich Ulf Bosch aus Düsseldorf. Er hat diesmal schon
erreicht, wovon ich noch träume. 10mal London-Marathon hintereinander!
Ulf war nicht der einzige, der zum Abschied sagte:
"Bis zum nächsten Jahr."
Übrigens: Nicht nur die Zuschauer waren so zahlreich wie
nie. Die Ergebnisliste weist mit über 35.000 Finishern einen neuen
Rekord aus.
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