BONN,
im Juli. Anfangs ist es nichts als Neugier. Was ist das für einer,
der sein Geld damit verdient, daß er Treppen hochläuft? Der rund 300
Treppenrennen auf fünf Kontinenten hinter sich hat, der 38
Weltrekorde im Treppenlauf hält und der alle erwähnenswerten Treppen
in seinem Wohnort Bonn aus eigener Anschauung kennt: Steile Treppen
und flache Treppen, lange Treppen und kurze Treppen, weite Treppen und
enge Treppen, Treppenhäuser und Freitreppen. Nichts als Treppen, das
ganze Jahr. Und immer geht es nur nach oben.
Die
Überraschung ist dann, daß es keine Überraschung gibt. Stefan Minten
ist Mitte Dreißig, groß (1,92 Meter), schlank (80 Kilogramm), kommt
mit dem Fahrrad und ist auch sonst erstaunlich normal. Fast enttäuschend
normal, angesichts seines Berufes. Stefan Minten ist freundlich, umgänglich,
erzählt viel und gerne, ein geselliger Typ, wie man ihn im
Sportverein trifft oder in der Kantine. Auf den ersten Blick aber ist
Stefan Minten keiner, der seine Verwaltungstätigkeit im
Bundeswirtschaftsministerium aufgibt, um sich dem professionellen
Treppenlaufen zu verschreiben - als einziger Mensch auf der Welt auch
noch, wie er sagt. Diese Exklusivität ist es, die Gespräche über
die Sportart Treppenlaufen oft so verlaufen läßt:
„Gibt
es Zahlen darüber, wie viele Menschen Treppenlauf betreiben?"
„Schwierig."
„Es
gibt wahrscheinlich keine Organisationen, Verbände oder ähnliches?"
„Doch,
es gibt die Federal International Professional Stairclimbing
Organization.
Die habe ich selbst gegründet."
„Aber
es gibt doch nur einen einzigen professionellen Treppenläufer auf der
Welt?" „So ist es." „Sie sind das einzige
Mitglied?" „Ja."
Bleibt
die Frage: Wie ist das alles so gekommen im Leben von Stefan Minten?
Minten
war früher Leichtathlet, Langstreckenläufer, absolvierte Halbmarathons und Marathonläufe. Als er im Fernsehen erstmals das seit 1978
ausgetragene Treppenrennen im Empire State Buildung in New York sah, wurde ihm
klar: Da mußte er hin. Er schickte seine Bewerbung ab und wurde
eingeladen. Am 6. Februar 2000 rannte er mit 159 anderen Startern 86
Stockwerke im Treppenhaus des Empire State Buildings
nach oben. Vierzig Minuten hatte er angepeilt, 18:38 benötigte er.
Stefan Minten wurde 98., war sehr
zufrieden und hatte ein neues Hobby entdeckt.
Die
nächste Einladung führte ihn nach Malaysia, zum 421 Meter hohen
Fernsehturm in Kuala Lumpur. „Das schwierigste Rennen überhaupt",
sagt Minten. „40 Grad Lufttemperatur,
90 Prozent Luftfeuchtigkeit, erst mit 15 Prozent Steigung den Berg
hoch, durch Dschungellandschaft, dann noch 2056 Stufen." Doch
Minten war gut vorbereitet. Er hatte im Tropenhaus des Botanischen
Gartens in Bonn trainiert, hatte sich akklimatisiert, war Runden durch
die Gänge gerannt, hatte Kurzsprints eingelegt. Als Gegenleistung
pappte er das Logo des Botanischen Gartens auf sein Trikot. Stefan
Minten wurde „ungefähr 60.", war
sehr zufrieden und begeistert über das öffentliche Interesse: Der
malaysische Sportminister hatte den Lauf eröffnet, das Fernsehen ihn
vier Stunden live übertragen.
Stefan
Mintens Reise um die Welt ging weiter
nach Moskau, zum Lauf auf den 540 Meter hohen Ostankino-Fernsehturm.
Dort gewann er eine Pelzmütze, die Erstplazierten wurden mit
einer Waschmaschine und einem Staubsauger bedacht. Für einen
Treppenlauf ist das beachtlich. In Polen, sagt Minten, habe der Sieger
einmal ein paar Felgen bekommen, in Nijmwegen
in den Niederlanden erhielt der Erste einen Gutschein eines Sportgeschäfts
über 25 Gulden (umgerechnet gut elf Euro),
die Nächstbesten eine Zuckerstange. Geld gebe es nur in Kuala Lumpur
zu verdienen, 7500 Euro, das höchste Preisgeld überhaupt, und auch
in New York, wo der Sieger des Laufs auf das Empire State Building
250 Dollar erhält - plus einen Scheck über 5000 Dollar, der
postwendend an eine wohltätige Organisation wandert.
Das
ist nicht die solideste Basis für eine prosperierende
Profi-Karriere. Stefan Minten schreckte das nicht. Als er im November
2000 bei der Weltmeisterschaft im Treppenlauf in Sydney antrat, gestreßt
durch die schwierige Urlaubsplanung und geschlaucht vom Jet-Lag,
da beschloß er: Es muß sich etwas ändern. Er setzte sich mit seinem
Arbeitgeber zusammen, und sie kamen überein, daß Minten vom 1.
August 2001 an drei Jahre lang ohne Bezüge beurlaubt wird. Seitdem
ist Stefan Minten freier Unternehmer und vermarktet sich selbst. Er
hat 300 Kleinsponsoren, davon 290 Sach-Sponsoren.
Minten bekommt hundert Kilogramm Fleisch im Jahr vom Metzger, hundert
Liter Eis von der Eisdiele, hundert Kilogramm Bananen vom Obsthändler,
dazu zwei Kilogramm Gemüse und ein Kilogramm Äpfel in der Woche. Er
bekommt Bücher, Papier, Kopien und Klebstoff, Aktenordner und
Nagelpflege, Socken und Öko-Brot, Pomnmes frites und Espresso. Er
wird unterstützt von einer Textilreinigung, einem Friseur, einem
Sanitätshaus und dem Beethoven-Geburtshaus, das ihn mit Konfekt und
CDs versorgt. Minten vermietet seine Socken, seine Hose und sein
Trikot. Für ein Rennen, für ein Jahr oder auch für immer. Einmal
hatte er ein Trikot, auf dem 86 Logos klebten.
Steile
Treppen und flache Treppen, lange Treppen und kurze Treppen, weite
Treppen und enge Treppen, Treppenhäuser und Freitreppen. Nichts als
Treppen, das ganze Jahr. Stefan Minten mag das. Er läuft und läuft
und freut sich, wenn er dabei nicht nur sein Gewicht, sondern auch
Werbung tragen kann.
Das
allein genügt nicht. Minten jagt nicht nur Sponsoren, er jagt auch
Prominente. Er rennt mit Jürgen Drews auf eine Kirche in Bonn und mit
Johannes B. Kerner die Treppe im Sport-Studio hoch. Er kann
stundenlang Bilder zeigen, auf denen er Prominente trifft: Minten mit
Gerhard Schröder, Minten mit Tom Cruise, Minten mit dem Präsidenten
von Malawi, Minten mit dem Sportminister von Malaysia. Minten weiß,
Prominente bedeuten Öffentlichkeit, und als selbständiger Treppenläufer
gibt es nur eines, das genauso wichtig ist wie möglichst schnell die
oberste Stufe zu sehen: „in die Medien kommen". Mintens
Weltrekorde sind von der Art: Höchster Treppenlauf
in einem Flugzeug. Da hatte er einen Piloten der Malaysian
Airlines überredet, kurz die Reiseflughöhe
von 11500 Metern zu verlassen und auf 11 800 Meter zu gehen. Minten
rannte von der Economy in die First Class
hoch. Seitdem ist er Weltrekordhalter.
Minten
ist mindestens zur Hälfte Geschäftsmann, ein kompromißloser Verkäufer
seiner selbst. Er nervt Fotografen mit ständigen Fragen, ob die
Internet- adresse auf seinem T-Shirt auch zu lesen ist, er überklebt
das Logo des Herstellers auf seinen Schuhen mit dem Hinweis: „Die
haben schließlich nichts bezahlt."
Minten ist ein harter Verhandlungs- partner, feilscht um jede Art von
Unterstützung und um jeden Kontakt. „Die ersten vier Sponsoren
haben mich übers Ohr gehauen. Das ist mir danach nicht mehr passiert."
Auf 75 000 Euro im Jahr schätzt er
seine Ausgaben.
Minten
ärgert es, daß diese Marketingaktionen oft intensiver wahrgenommen
werden als seine sportlichen Leistungen. In den Niederlanden habe er
bei einem Treppenlauf einmal zwei Olympiasieger geschlagen, sagt
Minten. Wenngleich die ihre Medaillen im Kanu- und im Radfahren
gewonnen hatten. Trainiert hat er vor dem 11. September 2001 im Langen
Eugen, dem 114 Meter hohen ehemaligen Abgeordnetenhochhaus in Bonn.
Bestzeit für die 29 Stockwerke: 4:13 Minuten. Seit dem Tag der
Terroranschläge ist das Treppenhaus aus Sicherheitsgründen gesperrt,
Minten mußte auf andere Trainingsmöglichkeiten in Bonn ausweichen.
Verglichen
mit der phantasiereichen Vermarktung ist das Treppenlaufen
tatsächlich ein trockenes Geschäft. Nur am Start, die ersten zehn
Stockwerke, komme es gelegentlich mal zum Gerangel, sagt Minten.
Danach geht jeder seiner Wege, in seinem Tempo, auf seine Weise.
Manche versuchen es auch auf allen vieren, mit Handschuhen. Davon hält
Minten nicht viel. Er hat zwei paar Laufschuhe, eines für harte,
eines für weiche Treppen. Die Schrittlänge paßt er den jeweiligen
Treppen an, sie reicht von einer bis zu fünf Stufen. Während des
Laufs kreisen seine Gedanken nur um Fragen wie: Wie weit noch, wie
viele Stockwerke noch? „Man versucht sich abzulenken, zumal die Luft
in den meisten Treppenhäusern nicht gerade prickelnd ist."
Minten ist kein Treppenläufer aus Leidenschaft, er hat eine recht nüchterne
Beziehung zu seinem Beruf. Ein Lieblings-Treppenhaus?
„Treppenhäuser sind in der Regel alle nicht so toll."
Das
hält Stefan Minten nicht davon ab, im Oktober dieses Jahres die
Teilnahme an einem Lauf im CN-Tower in Toronto anzustreben, dem mit
553 Metern höchsten Bauwerk der Welt. Stefan Minten wird auch dort
nicht gewinnen, er wird auch kein Preisgeld erhalten. Aber er wird
wieder ein Stück Welt gesehen und einige Menschen kennengelernt
haben, und das ist ihm ebenso wichtig wie die sportliche Seite. Die Träume
des Treppenläufers Stefan Minten sind: „Einmal mit Nelson Mandela
laufen. Oder einmal im Weißen Haus in Washington laufen." Und es
geht auch eine Nummer kleiner: „Guido Westerwelle wäre auch schön.
Der ist in der Vermarktung spitze." Stefan Minten steht nicht in
der Gefahr, zum Treppen-Junkie zu werden. Er benutzt gerne
Rolltreppen, und er steht auch dabei. „Und wenn's geht, nehme ich
sowieso den Aufzug."
©
Bernd Steinle
websites:
www.stairman.org
www.treppenlauf.com
www.stefan-minten.de
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