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FRANKFURT. Marco Pantani ist am Samstag abend tot in einem Zimmer des
Apartmenthotels "Le Rose" in Rimini an der Adria aufgefunden worden. Die
Umstände deuten darauf hin, daß sich der ehemalige Radprofi das Leben
nahm. Die vom Hotelpersonal alarmierte Polizei entdeckte, als sie die
Zimmertür gegen 22 Uhr öffnete, die lediglich mit einer Jeans bekleidete
Leiche des 34 Jahre alten Pantani neben dem Bett. Einige leere
Schachteln von Beruhigungsmitteln lagen im Zimmer. Nichts deutete auf
eine Gewalttat hin. An diesem Montag soll eine Autopsie die genauen
Umstände des Todes klären, der am Samstag um 17 Uhr eingetreten sein
soll. Staatsanwalt Paolo Gengarelli sagte, er schließe keine Hypothese
aus und habe ein Ermittlungsverfahren eröffnet, um die Gründe für den
Tod festzustellen.
Pantani stammt aus dem nur wenige Kilometer entfernten
Küstenort Cesenatico, wo seine Familie eine Imbißbude betreibt und er
eine Villa besaß. Vor einer Woche soll er den Kontakt zu Eltern und
Schwester abgebrochen und sich in dem Hotel eingemietet haben. Das
Personal berichtete, er habe das Zimmer praktisch nie verlassen und
geistig abwesend gewirkt. Pantani hatte kein Mobiltelefon dabei und
hatte an den letzten Tage seines Lebens keinen Kontakt zur Außenwelt.
Das einzige Telefongespräch seine Aufenthaltes führte er nach seiner
Ankunft. Seine Mahlzeiten nahm er im Zimmer ein. Auf einem Bogen Papier
schrieb er seine Gedanken zum Zustand des Radsports nieder.
Pantani war einer der bekanntesten Radprofis der Welt. Er
war klein, trug auf seinem Glatzkopf im Rennen häufig ein Piratentuch
und hatte die staunenden Augen eines Kindes sowie, bis zu einer
Operation vor zwei Jahren, abstehende Ohren.
Sein markantes Äußeres verband sich mit einem aggressiven Stil, der ihn
selbst im vergangenen Jahr noch, als er weit entfernt war von der
Verfassung früherer Jahre, beim Giro d'Italia in den Bergen angreifen
ließ.
Im vergangenen Herbst suchte Pantani eine Klinik zur Behandlung von
Suchtkrankheiten und Depressionen in Teolo bei Padua auf. Zeitungen
berichteten, er habe mehr als zwanzig Kilogramm zugenommen. Freunde
sagten, er habe sie nicht mehr an sich herangelassen. Der
Nachrichtendienst Radsport-News.com zitierte Felice Gimondi, der Pantani
jahrelang im Team Mercatone Uno begleitet hatte, mit den Worten: "Marco
hat den höchsten Preis bezahlt. Er war über Jahre im Auge des
Wirbelsturms, als er die Nummer eins der Welt war. Dann war er plötzlich
ganz allein. Er war sehr zerbrechlich."
1998 gewann Pantani den Giro d'Italia und die Tour de France. Im Jahr
darauf wurde er, als Führender des Giro, wegen eines zu hohen
Hämatokritwertes (52 Prozent statt der erlaubten 50) bei einer Blutprobe
36 Stunden vor Ende des dreiwöchigen Rennens mit einer sogenannten
Schutzsperre belegt. An jenem Tag, dem 5. Juni 1999 in Madonna di
Campiglio, begann der Niedergang des Marco Pantani.
"Manch einen sollte jetzt das Gewissen plagen", sagte am Sonntag der
Vorsitzende des Pantani-Fanclubs, Vittorio Savini, in Anspielung auf
diesen schicksalsschweren Tag. "Denn als man ihn in Madonna di Campiglio
stoppte, hätte man dasselbe mit den anderen 170 Fahrern machen können.
Aber nur er war das Ziel." Die Zeitung "Corriere della Sera"
kommentierte jetzt den Tod Pantanis mit ähnlicher Stoßrichtung: "Er ist
schon viel früher gestorben." Pantani wehrte sich damals auch mit der
Behauptung, sein Blut sei vertauscht worden, gegen den offensichtlichen
Verdacht des Dopings. Gerichtsmedizinischen Untersuchungen folgten
staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, die sich zunehmend darauf
konzentrierten, daß Pantani nach einem lebensgefährlichen Unfall im
Rennen Mailand-Turin 1995 mit einem Hämatokritwert von mehr als sechzig
Prozent ins Krankenhaus gebracht wurde und dort offenbar von seinen
Betreuern weitere Gaben des blutbildenden Hormonmittels Erythropoietin
(Epo) erhielt. Anhand der Daten aus den Krankenakten verurteilte ein
Gericht in Forlf Pantani im Dezember 2000 zu einer Bewährungsstrafe von
drei Monaten und einer Wettkampfsperre von sechs Monaten. Die Richterin
wandte das entsprechende Gesetz gegen Sportbetrug allerdings rückwirkend
an - das Urteil hielt der Revision nicht stand' Erst im Oktober 2003
erfolgte der Freispruch im Prozeß wegen Dopings im Giro 1999, der in
Tione anhängig war.
Pantani war zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder umschwärmter und
erfolgreicher Rennfahrer gewesen. Unter anderem mit Hilfe eines
Psychotherapeuten hatte sein Team ihn auf den Giro 2000 vorbereitet.
Pantani flog im Hubschrauber zur Audienz bei Papst Johannes Paul II.
ein, mit der seinerzeit der Giro in Rom begann. Dann fuhr Pantani zum
ersten Mal seit einem Jahr ein Rennen. Einen Monat später verabschiedete
er sich vorzeitig von der Tour: mit zwei seiner insgesamt acht
Etappensiege und einem heftigen Streit mit Sieger Lance Armstrong. Der
Amerikaner behauptete entgegen jeder Radsport-Etikette, er hätte Pantani
am Mont Ventoux die Etappe gewinnen lassen. Der Italiener war tief
beleidigt. Im vergangenen Jahr bettelte Pantani noch um Aufnahme in eine
Mannschaft, die für die Tour qualifiziert war; auch Jan Ullrich bot er
sich an.
Da war er sein letztes Rennen bereits gefahren: den Giro 2003. Mit
wilden Attacken irrlichterte Pantani durch das Rennen und beendete es
auf Platz vierzehn. Seine Popularität war weiterhin beispiellos. Kaum
ein italienischer Sportler und schon gar kein anderer italienischer
Radrennfahrer zog derart die Massen in seinen Bann. Auch bei der
Italien-Rundfahrt gewann er insgesamt acht Etappen. Mit der sportlichen
Karriere waren allerdings die Ermittlungen wegen Dopings nicht zu Ende.
Bei der Razzia des Giro 2001 in San Remo war in einem Hotelzimmer von
Pantanis Team eine gebrauchte Spritze mit Insulin gefunden worden;
Pantani bestritt, daß er in dem Zimmer gewohnt habe. Nach einer Sperre
durch die Sportbehörde stand der strafrechtliche Prozeß noch bevor.
Vor dem Hotel in Rimini versammelten sich, als in der Nacht die
Nachricht vom Tode Pantanis die Runde machte, etwa zweihundert Fans. Sie
versuchten ihm Respekt zu erweisen, indem sie langanhaltend
applaudierten, als gegen halb zwei Uhr morgens der Sarg mit Pantanis
Leichnam aus dem Hotel getragen wurde.
©
Michael Reinsch, FAZ
16.02.2004
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Marco Pantani
(13.01.1970-14.02.2004)

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