Frankfurt.
Harald Norpoth war weder
Olympiasieger noch Europameister. Und doch galt er als einer der großen
Läufer seiner Zeit. Der spindeldürre Mann, der immer so wirkte, als
hätte er nicht genug zu essen bekommen, gehörte zu den auffallenden
Erscheinungen der Langstreckenszene. An diesem Donnerstag feiert er in
seiner Heimatstadt Telgte nahe Münster
seinen 60. Geburtstag, will sich dabei aber nicht für seine zahllosen
Erfolge von einst feiern lassen. „Ich bin überhaupt nicht der Typ,
der immer wieder auf die Vergangenheit zurückkommt."
Deshalb hat er nur die zum Treffen in Telgte eingeladen, mit denen er
auch sonst sein Leben verbringt und in Zukunft verbringen will. Dann,
wenn er präzise mit dem Beginn seines neuen Jahrzehnts als Ruheständler
mehr Zeit hat. Denn nicht zuletzt wegen seiner kaputten Knie, die er
sich beim Hallentennis und Hallen-Fußball
und nicht durch das Laufen zugezogen hat, beendete er seine berufliche
Karriere. 31 Jahre war er dann in der Ausbildung von Sportausbildern
an der Bundeswehr-Sportschule in Warendorf tätig. Nun freut er sich
auf mehr Zeit für seine Frau, seine einunddreißigjährige
Tochter und seinen dreißigjährigen Sohn, die am Ort wohnen und öfter
mal reinschauen. Und natürlich will er sich sportlich betätigen,
ausgiebig Radtouren machen. Denn laufen ist wegen der Knie nicht mehr
möglich.
Beim
Blick zurück ist ihm das, was er aktiv für den Sport getan hat, ob für
seinen Verein oder als Sprecher der Leichtathletik-Nationalmannschaft,
mindestens so wichtig wie Titel und Medaillen. Dabei landete der 1,85
Meter große Westfale bei allen
wichtigen Wettkämpfen ganz vorne, niemals schlechter als auf dem
sechsten Platz. Diese Leistungskontinuität schaffte Norpoth nur, weil
er sich stets konsequent vorbereitete. „An 365 Tagen im Jahr habe
ich draußen trainiert, ob bei Regen, Hagel, Hitze oder 25 Grad minus.''
Seinen größten Erfolg errang er 1964 in Tokio, als er überraschend
Silber über 5000 Meter gewann. Dabei ließ der junge Deutsche die
Favoriten, den Franzosen Michel Jazy und
den australischen Weltrekordläufer Ron Clarke,
hinter sich, wurde aber von dem amerikanischen Außenseiter Bob Schul
überspurtet. Bei Europameisterschaften zweimal Zweiter über 5000
Meter und einmal Dritter über 1500 Meter, drei Siege beim damals
populären Europacup, 37 deutsche Meistertitel und 50 Starts bei Länderkämpfen
- diese Bilanz sagt einiges über den Stellenwert des 60-Kilo-Läufers
aus.
Rekorde
wie der Weltrekord über 2000 Meter und die Europarekorde über 3000
und vor allem über 5000 Meter in der heute noch respektablen Zeit von
13:20,49 Minuten waren für Norpoth mehr Nebenprodukte. Wie mancher
deutsche Läufer unlängst bei der Europameisterschaft mit Zeiten um
die 14 Minuten ausscheiden konnte, das ist ihm schleierhaft: „Das wäre
ich mit 1,5 Promille nachts um 24 Uhr gelaufen." Rekordrennen
fand der hagere Läufer langweilig. „Ich war mehr der Wettkampftyp,
liebte die Taktik. Ich konnte nicht nur mal so hohes Tempo laufen,
sondern wenn ich vorging, wurde es ernst." Aus der zweiten,
dritten Position heraus zog er dann einen mitreißenden Spurt über
500, 600 Meter an, dem selten einer gewachsen war. Wichtiger als viele
Erfolge auf der Laufbahn ist Harald Norpoth ein Brief von
Altbundestrainer Sepp Herberger, der von
ihm als Fußballer überzeugt war und ihn als Fußballtrainer empfahl.
Auch wenn der Leichtathlet sich neben dem Sportstudium zum Fußball-Lehrer
ausbilden ließ, ist daraus keine zweite große Karriere geworden.
Immerhin war der schlaksige Mann als exzellenter Techniker mit
Pferdelunge Stammspieler im Mittelfeld des SC
und der DJK Telgte und zuletzt Trainer
des Verbandsliga-klubs SU Warendorf. Und
auf die Frage, was ihm lieber gewesen wäre, ein Spitzenfußballer
oder ein Spitzenläufer zu sein, antwortete Harald Norpoth, ohne zu zögern:
„Ich hätte viel lieber auf der höchsten Ebene Fußball gespielt,
weil mich Fußball als Mannschaftssport viel stärker interessiert
hat."
©
Steffen Haffner, FAZ 08/2002
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Foto: yahoo.de

Harald Norpoth 1966
Foto: tvigb.de
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