HERNE. Einen hohen Berg mit dem
Rollstuhl zu besteigen ist unmöglich - sogar für Hannes Köppen. Dennoch
hat der Triathlet aus Herne eine beinahe übermenschliche Aufgabe
gemeistert. Köppen gewann den "Ironman" auf Hawaii und wurde Weltmeister
- als erster deutscher Teilnehmer in der "Handbike-Klasse" für
Querschnittsgelähmte. "Das war mein persönlicher Achttausender", sagt
er. Elfeinhalb Stunden zu Wasser und zu Lande unterwegs zu sein, nur
angetrieben von der Kraft der eigenen Arme, klingt schon großartig. Aber
das Faszinierende an dieser Leistung liegt für Köppen im Reglement. Beim
Ironman gibt es keine unterschiedlichen Normen. Das Zeitlimit, das die
Teilnehmer einhalten müssen, um im Wettbewerb zu bleiben, gilt auch für
die fünf behinderten Athleten, die nach einer harten Qualifikation einen
Startplatz erhalten.

PV-Athleten Conny Dauben und Hannes Koeppen im Ziel des Ironman Hawaii
(Foto: PV Triathlon Witten)
Köppen wird oft gefragt, ob das nicht
ungerecht sei. "Nein, ist es nicht, man sollte es so lassen", pflegt er
zu antworten. "Die Faszination besteht darin, dass die Regeln für alle
gleich sind." In seinen Augen ist Triathlon "die integrativste Sportart
der Welt, weil jeder auf derselben Strecke zur selben Tageszeit unter
denselben Bedingungen startet". Bei der Ausrüstung gibt es ein paar
Modifikationen, ohne die eine Teilnahme für Gelähmte nicht möglich wäre.
Auf der 180 Kilometer langen Radstrecke darf Köppen ein Spezialgerät mit
drei Rädern verwenden, das er im Liegen mit den Händen ankurbelt. Den
Marathonlauf erledigt er im Rollstuhl.
Als Köppens Traum vom Ironman begann, gehörte er noch zu den
"Fußgängern", wie er die nichtbehinderten Triathleten nennt. Köppen
hatte bei der Bundeswehr so viel Sport wie möglich getrieben, um stupide
Tätigkeiten wie Waffenputzen auf ein Minimum zu beschränken. Bei bester
Gesundheit nahm er sich vor, an einem Triathlon teilzunehmen. Bei einer
Rettungsaktion auf dem Standstreifen einer Autobahn wurde Köppen jedoch
schwer verletzt, seitdem ist er in den Rollstuhl gezwungen. Die
Metapher, an das Gerät "gefesselt" zu sein, verabscheut er. Sie sei
nicht nur schief, sondern falsch, sagt Köppen. "Der Rollstuhl ermöglicht
es mir, mich fortzubewegen, er ist mein Freund." Wo dieser Freund den
Athleten sich selbst überlassen muss, beginnt das Spiel mit der Angst,
auch für einen so außergewöhnlichen Athleten wie Köppen: Im Wasser,
mitten unter 1500 Teilnehmern, kommt er sich beim Start vor "wie unter
Haien". Das flüssige Element flößt ihm Respekt ein. Sich ohne Beinarbeit
auf 3,8 Kilometern im Pazifik zu behaupten ist nicht nur eine technische
Herausforderung, sondern auch eine psychologische - und eine taktische.
Jeder sei gut beraten, sich am Start richtig einzuordnen, sagt Köppen.
"Wer zu weit vorne beginnt und dann zu langsam ist, über den schwimmen
die anderen einfach drüber." Das kann schmerzhaft und gefährlich sein.
Was den mühevoll erlernten Rhythmus stört, kann beim Kraulen die Luft
zum Atmen kosten. Im Training, beim PV Triathlon Witten, übt Köppen
stets aufs Neue, "Panik zu vermeiden". Es klingt kurios, wenn er sagt:
"Auf dem Wasser muss ich laufen wie ein Torpedo." Seine Defizite beim
Schwimmen vermag Köppen durch Stärken in den beiden anderen Disziplinen
mehr als auszugleichen - vor allem auf dem Fahrrad, das ein maßgerecht
angefertigtes Dreirad ist. Erst diese technische Errungenschaft, die auf
den Erfindungsgeist gelähmter Tüftler zurückgeht, versetzte Hannes
Köppen in die Lage, seinen Traum doch noch zu verwirklichen.
Renntaugliche Handbikes wurden erst einige Jahre nach seinem Unfall
entwickelt. Statt in die Pedale zu treten, bedient der Athlet im Liegen
eine Handkurbel. Das Fortkommen mit einem solchen Fahrrad erfordert
immense Kraft. Natürlich besitzt Köppen gewaltige Schultern und
Oberarme; sie fallen vor allem im Vergleich zur schmalen Silhouette
seines übrigen Körpers ins Auge. Zu Beginn des Wettkampfes wiegt Köppen
sechzig Kilogramm bei einer Körperlänge von einem Meter achtzig. Das
geringe Gewicht kam ihm auf Hawaii zugute. Hitze und Schwüle begünstigen
Athleten mit weniger Körpermasse.
Die Leichtigkeit des Seins wurde beim Ironman gefördert durch die
Abwesenheit des belgischen Titelverteidigers Marc Herremans. "Bei meinem
Sieg hatte ich ein bisschen Glück, dass er nicht dabei war", sagt der
fünfzig Jahre alte Köppen. "Marc ist ja fast zwanzig Jahre jünger als
ich." Das Fehlen des Belgiers war so etwas Ähnliches wie ausgleichende
Gerechtigkeit. Im Jahr zuvor hatte Köppen schon aussichtsreich im Rennen
gelegen, wäre bei seinem ersten Ironman "vielleicht unter die ersten
drei gekommen", wenn sein Rollstuhl keinen Platten gehabt hätte.
Köppen verhält sich wie ein Berufssportler, obwohl er es nicht ist,
nicht sein kann. Für Behinderte gibt es kein Preisgeld. Und ohne Prämien
gibt es keine Profis. Dennoch lebt Köppen wie jemand, der seinen Sport
als Beruf versteht. Er trainiert bis zu 35 Stunden in der Woche, achtet
genau auf seine Ernährung und lässt sein Leistungsvermögen
wissenschaftlich analysieren. Zunächst hatte Köppen seine Energie in ein
Biologiestudium investiert, dem er eine Promotion folgen ließ. "Nach dem
Unfall war das Studium der wichtigste Lebensinhalt für mich, jetzt ist
es der Sport", sagt er. "Da kann man nicht einfach abschalten." Wie
andere Athleten, die etwas Überragendes geleistet haben, weiß Köppen
noch nicht, ob oder wann er wieder die Motivation für eine derart große
Herausforderung aufbringt. "Ich bin dankbar dafür, dass ich mein
sportliches Ziel erreichen durfte, aber ich bin auch ein wenig traurig,
dass der Höhepunkt meiner sportlichen Laufbahn nun ganz offensichtlich
erreicht ist", sagt er. Dennoch will Köppen an den Ort des Triumphes
zurückkehren. Nicht unbedingt, um den Titel zu verteidigen, sondern "um
den dritten Triathlon voll zu machen" - und um im Kreise alter Freunde
und Konkurrenten vom Ironman "Abschied zu nehmen". Das genügt ihm als
guter Vorsatz für das Sportjahr 2008. "Mit Athleten wie Marc Herremans
und dem Weltrekordinhaber Carlos Moleda im selben Rennen zu starten wäre
mir eine Ehre."
©
Richard Leipold, FAZ
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