Das Publikum kennt ihn als lächelnden Leicht- athleten, der von Rekord
zu Rekord läuft. Aber im vorigen Sommer in Hengelo
hat der zweimalige Olympiasieger und zehnmalige Weltmeister Halle
Gebrselassie aus Äthiopien eine ganz neue
Erfahrung gemacht: Beim Versuch, den Stundenweltrekord zu brechen, mußte
der bald dreißig Jahre alte Langstreckenläufer, der sich mehr und mehr
dem Marathon widmen wollte, erstmals ein
Rennen wegen einer Verletzung aufgeben. Damals sah sein Manager Jos
Hermens sogar die Karriere in Gefahr. Doch
der Athlet, der dieser Tage sein Buch „Laufen mit Haile
Gebrselassie" (288 Seiten, Ehrenwirth
Verlag, 19,90 Euro) vorstellte, gilt am
Wochenende bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Birmingham
wieder als großer Favorit über 3000 Meter.
Im
vorigen Sommer sorgte sich Ihr Manager sehr um Sie und sagte:
Hoffentlich erkennt er dieses Signal. Was
haben Sie unternommen, um wieder so
schnell zu rennen?
Eigentlich
war das für mich kein größeres Problem. Natürlich hatte ich niemals
zuvor ähnliche Verletzungsschwierigkeiten gehabt. Aber wir haben die
Pause genutzt, um über den Rest meiner Karriere zu sprechen. Ich habe
etwas geändert. Und jetzt bin ich wieder ganz gut in Form.
Was
haben Sie verändert?
Ich
hatte damals wegen meiner Marathon-
Vorbereitungen eine Kleinigkeit in meinem Laufstil angepaßt, was
aber falsch war. Ich wollte das eigentlich nicht, doch es schien nötig,
um auf der Straße zu laufen. Aber danach beschloß ich, wieder so zu
laufen wie vorher.
Heißt
das, wir werden
den Marathonläufer Gebrselassie vorläufig
nicht mehr erleben?
Ich
habe mich noch nicht festgelegt. Bevor ich mich wieder richtig auf den
Marathon konzentriere, lassen Sie mich noch ein bißchen 5000 und 10 000
Meter rennen. Natürlich will ich zwischendurch einige Marathons
bestreiten. In zwei Jahren, vielleicht ein wenig früher, werde ich dann
ganz von den Bahnrennen zum Marathon wechseln.
Im
letzten Jahr sagten Sie noch. Sie fühlten
sich mittlerweile zu alt für die kürze'
ren Distanzen.
Manchmal
scherze ich halt gern. Aber im Ernst, Sie haben natürlich recht. Es ist
wirklich nicht leicht, so zu rennen wie früher. Ich versuche, das Tempo
zu halten. Und das gelingt mir ja nicht schlecht.
Eine
nette Untertreibung; ein Weltrekord war in diesem Jahr auch schon wieder
dabei. Was haben Sie sich denn noch vorgenommen?
Nach
der Hallen-WM, im Sommer, will ich dann bei den Weltmeisterschaften in
Paris 10 000 Meter laufen. Und vielleicht beende ich das Jahr mit einem
Marathon. Anschließend kehre ich wieder zu den 10000 Metern zurück.
Wenn ich mich für die Olympischen Spiele 2004 qualifiziere, dann über
diese Strecke, nicht im Marathon. Es ist mir in Athen viel zu warm.
Und
zusätzlich haben Sie im vorigen Jahr versprochen, in alter Frische nach
Hengelo, Ihrer zweiten Heimat, zurückzukehren und dort wieder einen
Rekord zu versuchen. Wie haben Sie damals das mißlungene Rennen erlebt?
Ich war schockiert. Nicht nur weil ich so etwas noch nie
mitgemacht hatte. Auch wegen des Publikums, dem ich ja wieder ein gute
Vorstellung bieten wollte. Ich war wirklich tief erschrocken, und es hat
mich lange verfolgt, wie das passieren konnte. Aber das ist vorbei.
In
Ihrem Buch sagen Sie, Laufen vermittelt Ihnen ein gutes Gefühl, und
umgekehrt: Wenn Sie sich gut fühlen, können Sie schnell laufen.
So
ist es. Wenn Sie sich einmal entschlossen haben, zu laufen und dabei
etwas Besonderes zu leisten, kommt es gar nicht so sehr auf die Physis
an. Die mentale Stärke ist das Wichtigste. Und da versuche ich
weiterzukommen. Ich will noch etwas Besonderes leisten.
Vor
einigen Jahren war es für Sie noch das Größte, Olympiasieger für Ihr
Land zu werden. Das haben Sie längst geschafft und sind in Ihrem Land
anerkannt und berühmt. Wie wollen Sie das noch steigern? Wollen Sie
etwa noch Ma-rathon- Olympiasieger
werden?
Ich
denke tatsächlich darüber nach. Wenn ich die Weltbestzeit im Marathon
brechen könnte, wäre das für mich vielleicht ähnlich. Aber der
Olympiasieg ist doch immer noch das Höchste und Wichtigste. Das noch
einmal zu erleben, wäre für mich wundervoll.
Dann
müßten Sie dem Buch ein weiteres Kapitel hinzufügen.
Das
muß ich sowieso. Denn eigentlich ist es schon jetzt nicht mehr aktuell.
Auf dem Titel stehen noch 15 Weltrekorde. Mittlerweile sind es schon 16.
©
Jörg
Stratmann, FAZ 14.03.03
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