mehr Stories


Diese Seite wird auf privater Basis betrieben und ist nicht kommerziell.
Einnahmen werden ungekürzt gespendet an Sterntaler eV, Herdecke.



Artikel von © Ernst Horst in der FAZ vom 07.10.2003
Bitte copyright beachten, nur für privaten Gebrauch

Ein Spätberufener
Achim Heukemes läuft uns allen davon

Wenn einer den Ärmelkanal durchschwimmt und dabei, sagen wir mal, eine Pampelmuse auf einer Makkaroni balanciert, dann kommt er mit Sicherheit für fünfzehn Minuten ins Fernsehen. Achim Heukemes ist auch so jemand. Er ist ein „Extremläufer", der zum Beispiel im Jahr 2000 die 5735 Kilometer vorn Nordkap nach Sizilien in 55 Tagen, sechs Stunden und 45 Minuten hinter sich brachte. Das war Weltbestleistung, schon deshalb, weil er wohl der einzige Mensch auf der ganzen Welt ist, der sich an dieser speziellen Strecke je versucht hat. Sein Nachbar Ulfilas Meyer, ein Psychotherapeut, der Kurse über „bewußtes Laufen" leitet, hat ein Buch über ihn geschrieben: Born to Run. Heute muß es ja Englisch sein.

Das Buch ist seinerseits Teil des Medienrummels, den Heukemes nolens volens ständig in Gang halten muß. Ohne Fernsehauftritte gibt es keine Sponsoren, ohne Sponsoren kein Geld, ohne Geld keine aufwendigen Extremläufe und ohne Extremläufe keine Fernsehauftritte. Das Buch hat keine großen literarischen Meriten. Trotzdem ist es lesenswert, weil es einen ungewöhnlichen Menschen beschreibt. Im Profisport gibt es normalerweise immer Gegner. Heukemes hingegen kämpft am liebsten nur gegen sich selbst. Seine Spezialität sind Strecken, die er erst definiert hat: allein quer durch Italien, quer durch Europa, quer durch Deutschland. Aber er ist ohne Zweifel ein Profi. Die Anforderungen an ihn sind durchaus vergleichbar mit denen an einen Teilnehmer der Tour de France. So etwas ist ein Vollzeitberuf, auch wenn es nicht viel abwirft. Heukemes hat seine Nische gefunden und sie ist sehr klein. Die Zahl seiner Konkurrenten schätzt er auf etwa zehn. Nein, nicht zehn in Deutschland, zehn weltweit.

Ungewöhnlich ist auch, daß er ein Spätberufener ist. Er ist 52 Jahre alt. Ein Eigenbrötler, der die ganz große Herausforderung sucht, war er zeitlebens. Mit dem Laufen hat er aber erst als 33jähriger angefangen, Profi wurde er mit 47. Das ist nicht ganz so absurd, wie es klingt. Um anderthalb Monate am Stück zu laufen, braucht man vermutlich eine gehörige Portion Altersstarrsinn. Heukemes ist jemand, der mal impulsiv mit dem Motorrad von Wuppertal zur Eiger Nordwand fährt und dann nach einer Kaffeepause wieder zurück. Gleichzeitig ist er aber ein Ausbund an Zuverlässigkeit und stolz auf seine Sekundärtugenden. Letztes Jahr versuchte er, den Weltrekord über 1000 Meilen zu verbessern. Die Strecke ging 930mal rund um die Hamburger Binnenalster. Nach der halben Zeit war klar, daß er es nicht schaffen würde. Trotzdem ist er noch mehr als fünf Tage lang bis zum bitteren Ende weitergelaufen. Heukames kann durchaus auch aufgeben, aber nur, wenn die Geier schon sehr tief fliegen. Übrigens, falls es einer unserer Leser einmal versuchen will: Der Weltrekord über 1000 Meilen liegt bei zehn Tagen, zehn Stunden, 30 Minuten und - ganz wichtig - 35 Sekunden. Das entspricht einem Durchschnitt von 6,424 Stundenkilometern.

Das Buch besteht aus drei Teilen: einem Interview Meyers mit Heukemes, Reportagen über seine spektakulären Erfolge und Mißerfolge und einer Art Wechselgesang, der den Löwenanteil des Textes ausmacht. Heukemes berichtet da über seine Biographie, seine Erlebnisse, seine Motive. Eingebettet sind etwas kürzere Kommentare von Meyer. Heukemes' Ton ist sachlich, emotionsarm, aber doch irgendwie liebenswert. Hier spricht ein glücklicher Monomane, der stets konsequent nur das gemacht hat, was er wollte, aber dabei darauf geachtet hat, daß er niemanden unnötig verletzt. Er begann als Fernfahrer, natürlich immer ohne Begleitung. „Ich brauche keinen, der neben mir sitzt und mich den ganzen Tag vollqualmt und quakt." Seine erste große Liebe war das Motorrad. Dann kam die Freude am Laufen, und er wechselte notgedrungen zu einem Arbeitsplatz mit Stechuhr, damit er täglich trainieren konnte. Heute ist er ein freier, ein vogelfreier Unternehmer und kommt gerade so über die Runden.

Meyers Prosa hingegen entbehrt manchmal nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik. Er beschreibt den Läufer in ehrfürchtigem Ton als Übermenschen und versucht so, uns das Laufen als Ersatzreligion zu verkaufen. Immer wieder hat man das Gefühl, daß gar nicht von Achim Heukemes die Rede ist, sondern von dem edlen Peliden Achilleus oder zumindest von Herbert von Karajan. Typisches Zitat: „Indem er seine Träume nicht zu großen Seifenblasen werden läßt, die ein Eigenleben führen und irgendwann folgenlos zerplatzen, sondern sie tatsächlich zielstrebig und zäh verwirklicht, nutzt er ihre visionäre Kraft für seine Erkundungen der Welt und seine persönliche Entwicklung." Was soll der Weihrauch? Achim Heukemes ist ein zweimal geschiedener Ex-Trucker mit einer Frisur wie ein ungarischer Hirtenhund, der gerne Mitch Ryder hört und rennen kann wie ein vergifteter Affe. Das ist doch wohl genug für ein Buch!

© Ernst Horst, FAZ 07.10.2003 

 

Hier direkt bestellen
bei Amazon




Born to run. 
Aus dem Leben 
des Extremläufers 
Achim Heukemes.

von Ulfilas Meyer
 
Broschiert - 189 Seiten - Rowohlt Tb.
Erscheinungsdatum: Oktober 2003

 
 



Foto: www.badwaterultra.com

 
mehr Buchtipps für Läufer

Lauf-Infos auf der Link-Seite

 

 

 

 

 

 


Diese Seite wird auf privater Basis betrieben und ist nicht kommerziell.
Einnahmen werden ungekürzt gespendet an Sterntaler eV, Herdecke.
 

nach oben  mehr stories

Danke für Ihren Besuch

Gästebuch  Impressum  Sitemap  Kontakt