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Wenn einer den Ärmelkanal durchschwimmt
und dabei, sagen wir mal, eine Pampelmuse auf einer Makkaroni balanciert,
dann kommt er mit Sicherheit für fünfzehn Minuten ins Fernsehen. Achim Heukemes
ist auch so jemand. Er ist ein „Extremläufer",
der zum Beispiel im Jahr 2000 die 5735 Kilometer vorn Nordkap nach
Sizilien in 55 Tagen, sechs Stunden und
45 Minuten hinter sich brachte. Das war
Weltbestleistung, schon deshalb, weil er
wohl der einzige Mensch auf der ganzen
Welt ist, der sich an dieser speziellen Strecke
je versucht hat. Sein Nachbar Ulfilas
Meyer, ein Psychotherapeut, der Kurse über „bewußtes
Laufen" leitet, hat ein Buch
über ihn geschrieben: Born to Run. Heute
muß es ja Englisch sein.
Das
Buch ist seinerseits Teil des Medienrummels,
den Heukemes nolens volens ständig in Gang halten muß. Ohne Fernsehauftritte
gibt es keine Sponsoren, ohne
Sponsoren kein Geld, ohne Geld keine
aufwendigen Extremläufe und ohne Extremläufe
keine Fernsehauftritte. Das Buch
hat keine großen literarischen Meriten.
Trotzdem ist es lesenswert, weil es einen
ungewöhnlichen Menschen beschreibt.
Im Profisport gibt es normalerweise
immer Gegner. Heukemes hingegen kämpft
am liebsten nur gegen sich selbst. Seine
Spezialität sind Strecken, die er erst definiert hat: allein
quer durch Italien, quer
durch Europa, quer durch Deutschland.
Aber er ist ohne Zweifel ein Profi. Die
Anforderungen an ihn sind durchaus vergleichbar
mit denen an einen Teilnehmer
der Tour de France. So etwas ist ein Vollzeitberuf,
auch wenn es nicht viel abwirft.
Heukemes hat seine Nische gefunden und sie ist sehr klein. Die Zahl
seiner Konkurrenten schätzt er auf etwa zehn. Nein, nicht zehn
in Deutschland, zehn weltweit.
Ungewöhnlich
ist auch, daß er ein Spätberufener ist. Er ist 52 Jahre alt. Ein Eigenbrötler, der die ganz große
Herausforderung sucht, war er zeitlebens. Mit dem Laufen
hat er aber erst als 33jähriger angefangen,
Profi wurde er mit 47. Das ist nicht ganz
so absurd, wie es klingt. Um anderthalb
Monate am Stück zu laufen, braucht man
vermutlich eine gehörige Portion Altersstarrsinn. Heukemes ist
jemand, der mal impulsiv mit dem Motorrad von Wuppertal
zur Eiger Nordwand fährt und dann nach einer Kaffeepause wieder
zurück. Gleichzeitig ist er aber ein Ausbund an Zuverlässigkeit
und stolz auf seine Sekundärtugenden. Letztes Jahr versuchte er,
den Weltrekord über
1000 Meilen zu verbessern.
Die Strecke ging 930mal rund um die Hamburger Binnenalster. Nach
der halben Zeit war
klar, daß er es nicht schaffen
würde. Trotzdem ist er noch mehr als fünf
Tage lang bis zum bitteren Ende weitergelaufen.
Heukames kann durchaus auch
aufgeben, aber nur, wenn die Geier schon sehr tief fliegen. Übrigens,
falls es einer
unserer Leser einmal versuchen will: Der
Weltrekord über 1000 Meilen liegt bei zehn Tagen, zehn Stunden,
30 Minuten und - ganz wichtig - 35 Sekunden. Das entspricht
einem Durchschnitt von 6,424 Stundenkilometern.
Das Buch besteht aus drei Teilen: einem Interview Meyers mit
Heukemes, Reportagen
über seine spektakulären
Erfolge und Mißerfolge und einer Art Wechselgesang, der den Löwenanteil
des Textes
ausmacht. Heukemes berichtet da über
seine Biographie, seine Erlebnisse, seine
Motive. Eingebettet sind etwas kürzere Kommentare von Meyer. Heukemes' Ton
ist sachlich, emotionsarm, aber doch irgendwie liebenswert. Hier
spricht ein glücklicher
Monomane, der stets konsequent
nur das gemacht hat, was er wollte, aber
dabei darauf geachtet hat, daß er niemanden unnötig verletzt.
Er begann als Fernfahrer,
natürlich immer ohne Begleitung.
„Ich brauche keinen,
der neben mir sitzt
und mich den ganzen Tag vollqualmt und
quakt." Seine erste große Liebe war das Motorrad. Dann kam die
Freude am Laufen,
und er wechselte notgedrungen zu einem Arbeitsplatz mit Stechuhr, damit
er täglich
trainieren konnte. Heute ist er ein freier, ein vogelfreier
Unternehmer und kommt
gerade so über die Runden.
Meyers
Prosa hingegen entbehrt manchmal
nicht einer gewissen unfreiwilligen
Komik. Er beschreibt den Läufer in ehrfürchtigem
Ton als Übermenschen und versucht
so, uns das Laufen als Ersatzreligion zu
verkaufen. Immer wieder hat man das Gefühl,
daß gar nicht von Achim Heukemes
die Rede ist, sondern von dem edlen Peliden Achilleus oder zumindest von Herbert
von Karajan. Typisches Zitat: „Indem er
seine Träume nicht zu großen Seifenblasen
werden läßt, die ein Eigenleben führen
und irgendwann folgenlos zerplatzen, sondern
sie tatsächlich zielstrebig und zäh verwirklicht,
nutzt er ihre visionäre Kraft für
seine Erkundungen der Welt und seine persönliche
Entwicklung." Was soll der Weihrauch?
Achim Heukemes ist ein zweimal geschiedener Ex-Trucker mit einer
Frisur wie ein ungarischer Hirtenhund, der gerne Mitch Ryder hört und
rennen kann wie ein
vergifteter Affe. Das ist doch wohl
genug für ein Buch!
©
Ernst Horst, FAZ
07.10.2003
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Born to run.
Aus dem Leben
des Extremläufers
Achim Heukemes.
von Ulfilas Meyer
Broschiert - 189
Seiten - Rowohlt Tb.
Erscheinungsdatum: Oktober 2003

Foto: www.badwaterultra.com
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