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Artikel von © Roland Wiedemann in der FAZ vom 02.08.2006
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Berglaufprofi-Tourist mit der Konsequenz eines Che Guevara

Helmut Schießl: Ein Freigeist von Weltmeister, der nicht mehr für den DLV starten will

BUCHENBERG. „Die Reise des jungen Che" ist Helmut Schießls Lieblingsfilm. Fünfmal hat er den Streifen schon gesehen. An der Wohnungstür hängt das Filmplakat. Es zeigt Che Guevara, den späteren Freiheitskämpfer, wie er mit seinem Freund Alberto Granado auf einer Norton 500 über südamerikanische Schotterpisten jagt. „Am meisten fasziniert mich an Che seine Konsequenz", sagt Helmut Schieß!, den die Regionalzeitung kürzlich einen „Allgäuer Sturkopf" nannte. „Lieber ein Sturkopf als ein DLV-Lakai", kontert Schießl.

Der Vierunddreißigjährige aus Buchenberg im Oberallgäu ist amtierender Berglauf-Weltmeister. Wegen eines Streits mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) wird er seinen Titel aber nicht verteidigen, sondern fortan nur noch bei Volksläufen starten. Die Funktionäre haben Schießl aus dem Nationalteam gestrichen, weil er seine Anti-Doping-Pflichten verletzt hat. Dabei unterstellt ihm niemand, unerlaubte Mittel einzunehmen. „Doping kostet viel Geld", sagt Helmut Schießl. „Das können sich Bergläufer gar nicht leisten." Fuzzy, wie ihn alle nennen, geht es ums Prinzip. Der Athlet mit der Edelweiß-Tätowierung auf dem Oberarm hat laut der Bestimmungen der Nationalen Anti-Doping-Agentur per Fax oder Telefon seinen momentanen Aufenthaltsort durchzugeben, wenn er sich länger als 72 Stunden von seinem Wohnort entfernt. Doch Schießl wollte die Kosten dafür nicht tragen. Der Athlet nennt sein Verhalten „eine Provokation".

Seit Monaten schon schwelt der Konflikt zwischen Schießl und den Verbandsfunktionären. Hintergrund ist die in sei-
nen Augen fehlende Anerkennung seiner Leistung durch den DLV. Wieder und wieder habe er in Briefen um mehr Unterstützung gebeten, sei es finanzieller oder ideeller Art. „Geantwortet hat mir nie jemand", sagt Schießl und schiebt die Klarsichtmappe mit den vielen Schriftstücken über den Küchentisch. „Als ich den Herren vom Verband dann schrieb, ich werde meiner Meldepflicht nicht mehr nachkommen, war klar, diesmal reagieren sie."

Inzwischen erklärt er sich bereit, die Anti-Doping-Richtlinien zu erfüllen. Weil er ein reines Gewissen hat, aber auch, weil sein Sponsor das wünscht und die entstehenden Kosten übernimmt. Für die Nationalmannschaft will der Freigeist dennoch nicht mehr starten. „Mir fehlt im Verband die Akzeptanz für den Berglaufsport." Und außerdem müsse er betriebswirtschaftlich denken. Wegen der Termin-überschneidungen sei es lukrativer, bei einem gut dotierten Volkslauf statt für Deutschland - „und einen feuchten Händedruck" - bei einer Meisterschaft anzutreten.

Seit dieser Saison schlägt er sich als Profi durch, reist mit einem 37 Jahre alten klapprigen Wohnwagen von Volkslauf zu Volkslauf und sammelt in ganz Europa Preis- und Antrittsgelder. Heute Österreich, nächste Woche Slowenien. „Reich wird man nicht. Aber ich kann davon leben." 2000 Euro bei einem Start in der Steiermark war bisher die größte Börse.

Lange hatte Schießl versucht, den harten Zimmermannsjob mit dem Leistungssport zu vereinbaren. Quasi als Training war der Autodidakt, der noch nie einen Betreuer an seiner Seite hatte, zu den Baustellen gejoggt oder geradelt, während sich die Spitzenläufer anderer Länder unter Profibedingungen auf die Wettkämpfe vorbereiteten. Helmut Schießl rannte an Wochenenden 1500 Höhenmeter und mehr den Großglockner, das Nebelhorn oder einen anderen Berggipfel hoch und schleppte am Montag mit schweren Beinen wieder Holzbalken. Er hatte Angst davor, die Lust am Laufen zu verlieren, wenn er sein Geld damit verdienen müßte. Heute weiß er, die Vorbehalte waren unbegründet. „Laufen im alpinen Gelände ist immer noch meine große Leidenschaft."

Schießl bezeichnet sich dabei als „Berglaufprofi-Tourist", weil ihm sein neuer Beruf die Möglichkeit gibt, andere Länder und Menschen kennenzulernen. So wie der junge Che. „Als ich noch Zimmermann war", sagt der freiheitsliebende Bayer, „mußte ich gleich nach den Rennen heimfahren. Jetzt ist das anders." Der Sport garantiert ihm die lang ersehnte Unabhängigkeit, die keine Verbands-funktionäre schmälern sollen. Ausgerechnet der Sport - das hätte sich Schießl als Jugendlicher nicht träumen lassen. Damals, als er noch ein „Hallodri" war. Einer, der bei jeder Party zu den Letzten gehörte, ordentlich trank und rauchte. Bis er eines Tages mit dem Auto in eine Polizeikontrolle geriet. Der Führerschein war weg. Fortan radelte der bis dato überzeugte Antisportler zur Arbeit. Erst auf kürzestem Weg, mit Pausen an jedem längeren Anstieg. Dann wurden richtige Radtouren daraus. Irgendwann landete Helmut Schießl beim Berglauf. Hier fand er seine Erfüllung und wurde zu einer Kultfigur im Allgäu.

Vielleicht tritt der Rebell Mitte August am Tegelberg bei der deutschen Meisterschaft an. „Zur Revanche gegen den Verband", sagt Schießl und schmunzelt. Eigentlich würde er aber zur gleichen Zeit lieber mit dem Wohnwagen in die Schweiz fahren. Zum Klassiker „Sierre-Zinal", dem „Course de Cinq 4000" in der atemraubenden Kulisse der Walliser Alpen. Denn eigentlich läuft Helmut Schießl lieber für sich als gegen andere.

© FAZ ROLAND WIEDEMANN

Nachtrag 13.08.06:
Helmut Schießl siegt bei der Berglauf-DM mit 46 Sekunden Vorsprung vor Timo Zeiler.
 

 


(Foto: Haglöfs)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Links:

www.berglauf.info

Goethe Institut: Portrait Helmut Schießl

Schießl im Wigald-Boning-Team

 

 

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