Es
ist ein milder Abend an diesem 15. Juni 1999 in Südafrikas Stadt Pietermaritzburg.
Sergio Motsoeneng, 21jähriger Langstreckenläufer, Mitglied des
Rentmeester Reparil Teams aus Pretoria, entspannt sich gemeinsam mit
seinen Mannschaftskollegen. Sie schlürfen Kaffee und lesen zum
wiederholten Mal die Infos zum bevorstehenden Rennverlauf. Morgen
früh werden sie den 74. Comrades Ultramarathon laufen. Mit seinen 87
anspruchsvollen Kilometern, die von den Spitzenläufern in etwa
fünfeinhalb Stunden bewältigt werden, ist er eine der größten
sportlichen Herausforderungen südlich des Äquators.
Erstmals
am Empire Day 1921 veranstaltet, war der Comrades-Lauf ursprünglich
als Ehrung der Soldaten gedacht, die im Ersten Weltkrieg in Südafrika
ihr Leben ließen. Die Streckenlänge entstand aus dem Gedanken, dass
ein trainierter Sportler in der Lage sein sollte, 90km zu laufen, wenn
wehrpflichtige Soldaten mit Gewehr und 30kg Gepäck quer durch Afrika
marschieren konnten.
Die
Idee der Gründungsorganisatoren wurde noch gestärkt durch Berichte
über einen Zulu Läufer, der 150 Jahre zuvor zweimal wöchentlich die
Zeitung zwischen Pietermaritzburg und Durban austrug, wofür er stets
ganze 12 Stunden brauchte. Das heutige Rennen wird abwechselnd in
beiden Richtungen ausgetragen. In Jahren mit geraden Zahlen bergauf
(Durban nach Pietermaritzburg), mit ungeraden Zahlen entgegengesetzt.
Im
Morgengrauen des 16. Juni steigt Sergio
Motsoeneng in das wartende Auto seines Team-Managers Dewalt Steyn.
Rechtzeitig zum Start um 6 Uhr drängt sich der Läufer in die erste
Reihe des 20.000 Teilnehmer starken Feldes. Wie seine Konkurrenten
trägt er einen Mikrochip am linken Schuh, mit dessen Hilfe die genaue
Zeit zwischen Start und Ziel elektronisch gemessen wird. Sergio ist
sich sicher, weit vor der offiziell zugelassenen Höchstzeit von 11
Stunden im Ziel in Durban anzukommen.
Seine
läuferischen Fähigkeiten sind mehr als überdurchschnittlich.
Mit seiner Marathon-Bestzeit von 2:13 Std träumt er davon, dem
legendären Bruce Fordyce folgen zu können, der den Comrades
ohne Unterbrechung in den Jahren 1981 bis 1988 gewinnen konnte, und
noch einmal 1990.
Serigo
nähert sich der 20km-Marke, sucht in der Zuschauermenge vergeblich
nach Bekannten, bevor er in einem der mobilen Toilettenhäuschen
verschwindet. Wenige Minuten später erscheint er wieder, um sich
unauffällig, aber von einer anrüchigen Aura umgeben, wieder
ins Rennen einzureihen. Das hat jedoch nichts mit körperlichen
Unpäßlichkeiten zu tun, sondern ist der Dunst, der von Betrügern
ausgeht.
Dieser
Sergio, der die nächsten 20km laufen wird, ist nicht mehr er selbst,
im wahrsten Sinne des Wortes. In einem dreisten, unsportlichen
Versuch, an einen Teil der Siegprämien für die ersten Zehn von
insgesamt 610.000 Rand (~100.000 Euro) zu kommen, hat
Sergio sich das Rennen mit seinem 19jährigen Bruder Sefako geteilt.
Sefako, ein vielversprechender junger Mittelstreckenläufer,
übernimmt den nächsten 20km-Abschnitt. Dann wird Sergio, nach einem
weiteren WC-Stop, das Rennen zu Ende bringen.
Heute,
3 Jahre danach, hilft Sergio Motsoeneng als unbezahlter Trainer beim
Liberty Nike Athletics Club in der Republik Südafrika und erzählt
unbeschwert über den - wie er es jetzt nennt - Zwischenfall.
"Hinten
im Ziel wunderte sich mein Trainer: 'Sergio, Du bist unter den ersten
Zehn, warum kannst Du nicht darüber freuen?' "
"Nachdem
wir das Trikot gewechselt hatten, fuhr ich zu einer Stelle kurz vor
halber Strecke," erzählt er. "Ich hatte vor, die zweite
Hälfte in ungefähr 2:20 Std zu laufen, was nahezu Streckenrekord
bedeutet hätte." Motsoeneng spricht, als berichtete er über
eine ganz normale Renntaktik und nicht den hinterhältigen Plan,
dessen Ausführung einen nationalen Aufschrei verursachen sollte.
Aber
der Plan ging nicht auf. Beim zweiten Wechselpunkt wartete Sergio im
Klohäuschen auf seinen Bruder. "Dewalt Steyn sollte bei km 40 an
der Wasser-Station stehen, aber als ich mit Sefako in der WC-Box war,
erschien er plötzlich vor der Tür mit einem Energiegetränk für
mich. Wir hielten den Atem an und tauschten vorsichtig Trikot und
Schuhe. Nach 10 Minuten verschwand Dewalt. Sefako fuhr mit dem Taxi
nach Hause und sah sich das Rennen im Fernsehen an. Dort bekam er
Zweifel, weil ich nicht so früh wie berechnet das Ziel
erreichte."
Zurück
im Rennen, drückte Sergio aufs Tempo. "Ich wollte möglichst
viele Plätze gutmachen, aber im Laufe des Rennens nagten Zweifel an
mir, ob uns nicht doch jemand durchschaut hatte. Bei etwa km 70
forderte mich Dewalt auf, das Tempo zu halten, da wusste ich, dass er
nichts bemerkt hatte."
"Ich
überquerte die Ziellinie (als Neunter), und mein Herz schlug mir bis
zum Hals. Ich erinnerte mich an ein Wort meiner Eltern: Wenn Du etwas
getan hast, was nicht richtig war, wirst Du es nicht verbergen
können. Dewalt kam zu mir und fragte: 'Sergio, Du bist unter den
ersten Zehn, warum kannst Du Dich nicht darüber freuen?' "
Aber
während Steyn nicht bemerkt hatte, dass da etwas nicht stimmte, war
da noch jemand anders. Nick Bester, ein früher Teamkollege Sergios in
Nord Gauteng, kam als 13. ins Ziel. Ihm kam verdächtig vor, dass
Sergio vor ihm war. Einen Monat später wurden die
Doping-Untersuchungen routinemäßig veröffentlicht. Sergio war
sauber, und Nick musste damit zugestehen, dass er regelgerecht
geschlagen worden war. Aber er ließ nicht locker. Er bat die
offiziellen Renn-Fotographen um Hilfe und - nachdem er sich durch
Berge von Fotos gearbeitet hatte - stieß auf zwei Bilder. Beide
schienen Sergio im Rennen zu zeigen, aber die Farbe seiner Uhr war
unterschiedlich, einmal pink und einmal creme, und er trug sie erst
rechts und dann links.
Gerade
als Bester an die Öffentlichkeit gehen wollte, klingelte bei einem
örtlichen Rechtsanwalt das Telefon. Clem Harrington, 50, mit 21
Läufen selbst ein Comrades-Veteran, kannte die Familie Motsoeneng
seit Jahren. "Ich bekam die Fotos per Fax und konnte ohne
weiteres erkennen, dass es zwei verschiedene Personen waren. Ich
machte ihnen klar, dass sie damit nicht durchkämen und brachte sie zu
den Veranstaltern. Sie waren geständig, gaben ihre Medaille zurück
und das war's." Nicht ganz.
Das
Prämiengeld von 6.000 Rand (~1.000 Euro) blieb
unauffindbar. Sergio behauptet bis heute, er habe das Geld seinem
Vater gegeben. Dem widerspricht seine nahezu bettelarme Familie laut
einem Interview in einer südafrikanischen Tageszeitung. "Ich
weiß nicht, wo es geblieben ist", sagt Harrington, mit dem
Unterton des Mannes, der danach schon tausende Male gefragt wurde,
"aber ich glaube, die beiden haben das Geld ausgegeben. Wir haben
die story an ein Magazin verkauft, und das Geld an die Veranstalter
zurückgezahlt."
3
Jahre hatte Sergio jetzt Zeit, über die Geschichte nachzudenken.
Seine Sperre läuft in diesem Monat ab. Den Comrades allerdings darf
er frühestens 2009 wieder laufen.
"Wenn
ich das Rennen wieder laufen dürfte, würde ich so etwas nie wieder
tun", beteuert er. "Die Sperre hat meine Karriere beendet.
Hätte ich nicht betrogen, hätte ich das Rennen gewinnen
können."
Eine
Ansicht, die Harrington nicht teilt. "Das ist herzlich
unrealistisch", sagt der Comrades-Veteran. "Um dieses Rennen
gewinnen zu können, muss man ein ganz aussergewöhnlicher Sportler
sein." Harrington vertritt die Brüder Motsoeneng weiterhin und
gibt damit ein Beispiel, Vergangenes zu vergeben. Er sagt: "Es
war mir wichtig, Klarheit in die Sache zu bringen, und für die beiden
Brüder war es gut, einen Schlussstrich zu ziehen."
©
Mark MacKenzie
(deutsch von U. Sauer)
Infos
zum Rennen unter www.comrades.com
|
The
evening of 15 June 1999 is a mild one in the South African city of Pietermaritzburg.
Sergio Motsoeneng, a 21-year-old
distance runner with the Pretoria-based Rentmeester
Reparil Gel team, is relaxing with his
team-mates, drinking coffee while double-checking his newly acquired
race instructions. In the morning he will compete
in the 74th Comrades ultra-marathon.
With front-runners covering the 87 gruelling kilometres to Durban in around
five and a half
hours, it is the southern hemisphere's
most demanding event of its kind.
First
run on Empire Day in 1921, the Comrades was conceived as a testament
to the spirit
and bravery of soldiers killed in East Africa during World War
One. The
race's extreme distance was determined
by the belief that if a conscripted soldier could march across Africa
with a rifle and 60lb
pack,
then an able athlete
should be able to manage nearly
90km comfortably.
The
vision of the race founders was supported by the experiences of a Zulu
runner who, over 150 years ago,
would deliver the twice-weekly
Natal Witness Express newspaper between Pietermaritzburg
and
Durban in an astonishingly regular 12-hour
trip. The modern
race is run alternately as an uphill
or "up" run (Durban to
Pietermaritzburg) in even-numbered years
and a "down" run, in the other direction, in odd-numbered
years.
As
dawn approaches on the morning of 16 June, Sergio Motsoeneng hauls
himself out of bed
and into the waiting car of Rentmeester's
team manager, Dewalt Steyn.
In time for the 6am race start, Sergio jostles his way to the front of
the 20,000-strong international field.
Like all the athletes, he wears a micro-chip embedded in his
left shoe, which measures his exact lapsed time between the start and
finish lines. Sergio kicks for Durban,
confident he will come in well ahead of the 11-hour
official cut-off point for finishers.
His
running credentials are excellent, if not extraordinary. With a
standard marathon personal best of 2hr
13min, he hopes one day to emulate such
Comrades legends as Bruce Fordyce,
the internationally renowned ultra-marathon
guru who recorded consecutive Comrades victories from 1981 to 1988 and
again in 1990.
Approaching
the 20km mark, Sergio scans the crowd for familiar faces before
deciding to take a toilet break. He enters a cubicle, emerging a few
minutes later to make his way gingerly back to the race, followed by
an unpleasant smell. But the smell has nothing to do with an upset
stomach, the dreaded "runner's
trots". The odour that follows Sergio Motsoeneng
is the whiff of skulduggery, and it is about to catapult the 1999
Comrades ultra-marathon into sporting
infamy.
The
Sergio who runs the next 20km is not himself. Quite literally. In an
audacious, if unsporting, bid for a share of the 610,000 rand (£61,000
at 1999 rates) winner's purse which will be divided between the top 10
finishers, Sergio has decided to boost his chances by changing places
with Sefako Motsoeneng, his 19-year-old
brother. A promising middle-distance runner, Sefako will run the next
20km. Then, after a further swap at another toilet pit-stop, the real
Sergio Motsoeneng will take over again for the remainder of the race.
Fast
forward three years, and Sergio Motsoeneng is working as an unpaid
coach with the Liberty Nike athletics
club in South Africa's Free State
province, happy to talk about what he refers to as "the
incident".
"I
finished the race - my trainer said to me: 'Sergio, you came in the
top 10, why can't you be happy?' "
"After
we changed vests I took some transport to a point just before
halfway," he says. "I had planned to run the second half in
about 2hr 20min, which would have taken
me near the course record." Motsoeneng speaks as if reviewing a
legitimate race strategy rather than the underhanded plot which caused
a national outcry.
But
the plan hit a snag. At the second changeover
point, Sergio waited for his brother in a toilet. "Dewalt Steyn
was supposed to meet me at the 40km water station
but, as I entered the toilet with Sefako, he appeared outside the door
with an energy drink for me. We held our breath before changing very
slowly and after 10 minutes Dewalt left. Sefako took a taxi home and
watched the rest of the race on television. He became worried, as he
knows how fast I am and couldn't see my placing."
Back
in the race, Sergio pushed hard. "I wanted to move up the
positions but as I ran, doubt came into my mind as I realised somebody
may have seen us. At around 70km, Dewalt
told me to push on, that's when I
realised he did not know what had happened."
"I
crossed the finish line [in ninth place] and my heart was beating
fast, because I remember from my parents that when you do something
wrong you can't hide. Dewalt came to me and said: 'Sergio,
you finished in the top 10, why can't you be happy?'."
But
while Steyn hadn't noticed anything was amiss, somebody else had. Nick
Bester, a former Gauteng North
provincial team-mate of Sergio's,
crossed the line in 13th place. Inquiring into those finishing above
him, he became suspicious on finding the name Sergio Motsoeneng.
Bester bided his time, yet a month later, when Sergio's routine dope
tests came back clean and he could provide no evidence to the
contrary, he was forced to concede he had been fairly beaten. But
something niggled. He sought out the official
race photographers and, after trawling through mountains of stills,
came across two images. While both appeared
to picture Sergio running, it seemed that at some point he had changed
the colour of his watch, from pink to cream, and switched it from his
right to left wrist.
As
Bester prepared to go public, the telephone rang in the office of a
local lawyer. Clem Harrington, 50, is a
veteran of 21 Comrades and has known the Motsoenengs
for years. "I was faxed
the pictures and could tell from the faxes that they were different people.
I told them they would never get away with it and took them to
Comrades House [in Pietermaritzburg].
They confessed, returned their medal and that was it."
Well almost.
The
R6.000 (£600) the brothers
won had mysteriously disappeared. Sergio's assertion,
maintained to this day, that he gave it to his father was contradicted
by an interview with his near-destitute family in a South African
national newspaper. "I don't know where it went," says
Harrington, with the weary air of a man who has been asked the
question a thousand times before, "but I suspect the brothers
spent it on themselves. We sold the
story to a magazine in order to repay Comrades."
In
the three years since, Sergio has had time to reflect on his public
shaming. His three-year ban from all South African competition is up
this month, although a 10-year ban from the Comrades event will not
expire until 2009.
"If
I could run the race again I would never do what I did," he
claims. "The bans mean my time as a runner has passed. If I
hadn't cheated, I'm confident I would have won the race."
A
view not shared by Harrington. "That's pretty
unrealistic," says the veteran runner. "To win Comrades you
have to be quite exceptional." That Harrington
continues to represent the Motsoeneng brothers typifies the
generosity of spirit synonymous with Comrades athletes. He says:
"For me, it was important to clear the air, for them to rectify
what they had done."
©
Mark MacKenzie
For
race informations consult www.comrades.com
|