Köln 2004 – Meine Marathonpremiere

 

 

„In der Ferne sehe ich das magische Wort: Ziel. Die Schmerzen der letzten Kilometer sind fast vergessen, die Beine tragen mich wie von selbst. Ich weiß jetzt, daß ich es schaffen werde, und die Euphorie treibt mir Gänsehaut über den Rücken und ein Dauergrinsen ins Gesicht. Die Zuschauermassen jubeln, klatschen, feuern an. Ich genieße das letzte Stück noch einmal in vollen Zügen, klatsche auf den letzten Metern noch ein paar Hände ab und überquere mit hochgereckten Armen und Freudentränen in den Augen überglücklich und total stolz auf mich selbst die Ziellinie. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben, aber es ist wahr: ja, ich habe es geschafft! Ich bin ein Marathonläufer!“

 

So in etwa sollte es am 12.09. beim Überqueren der Ziellinie des Köln-Marathons sein.

Auf Köln fiel die Wahl, weil es deutlich schneller und besser erreichbar ist als Berlin und weil auch dort super Stimmung ist, wie ich im Jahr davor am Fernsehschirm feststellen konnte.

 

Vorbereitet habe ich mich, nachdem ich seit 2 Jahren laufe, mit dem 10-Wochen-Trainingsplan „Marathon unter 4 Stunden“ von Herbert Steffny aus dem Buch „Perfektes Lauftraining“.

 

Da meine Frau sich dazu entschlossen hat, mich nach Köln zu begleiten, haben wir uns für 2 Nächte eine Ferienwohnung in Rösrath angemietet, die wir mit Glück im Internet fanden und die nur eine viertel Stunde mit der Bahn vom Start- und Zielbereich entfernt lag.

 

Seit Wochenbeginn wurde ich gelegentlich schon einmal nervös, wenn ich an den Marathontag dachte. Etwas Kummer bereiteten mir meine Beine. Die Knie waren die letzten Tage nicht richtig beschwerdefrei und auch nicht richtig „frisch“. In den Waden fühlte ich gelegentlich einen Hauch von Krampfneigung, obwohl ich die letzten Monate durchweg Magnesium und ein Vitamin C / Zink – Präparat zur Nahrungsergänzung nahm. Aufgrund der langen Läufe in letzter Zeit habe ich die Magnesiumgaben sogar verdoppelt und zusätzlich auch noch Calcium-Brausetabletten genommen.

 

In der Vorbereitung des Marathons habe ich versucht, möglichst gut zu planen und mich zu informieren, um vor unliebsamen Überraschungen geschützt zu sein.

Ich setzte mir 3 Ziele: „Minimalziel“ war ankommen. Das „Realziel“ setzte ich mir bei 4:13 Stunden, was einem Schnitt von noch unter 6 Min/km entspricht und aufgrund von Laufzeitprognosen möglich sein müßte. „Optimalziel“ sollte eine Zeit unter 4 Stunden sein. Es war mir schon klar, daß dazu wirklich alles passen müßte. Da ich jedoch auf eine Zeit unter 4 Stunden hintrainiert hatte und das Training im großen und ganzen erfolgreich absolvieren konnte, richtete ich meine Strategie darauf aus. Ich nahm mir vor, gleichmäßig im Tempo von 5:40 zu laufen, was eine Endzeit von knapp unter 4 Stunden bedeuten würde.

 

Am Vortag des Marathons fuhr ich mit dem Auto von der Ferienwohnung zum Kölner Messegelände und verfranste mich erst einmal, bevor ich dann auf einem Parkplatz zwischen irgendwelchen Messehallen landete und nach weiterem Herumirren zu Fuß um 10.00 Uhr gerade noch knapp vor dem Start des Erich Tomzig Panoramalaufes an der Messehalle 1 ankam. Der Panoramalauf sollte als caritativer Warm-Up-Lauf für jedermann ohne Zeitnahme und Startnummern über eine circa 5,5 km lange Strecke durch den Rheinpark, über die Hohenzollernbrücke, am Rheinufer entlang und über die Deutzer Brücke wieder am Rheinufer entlang zum Start zurückführen.

Ich wollte mir vor dem Start noch gegen eine Spende ein Erinnerungs- und Unterstützungs-T-Shirt holen und überziehen, schaffte dies aber aus zeitlichen Gründen nicht mehr. Dies sollte sich jedoch als glückliche Fügung erweisen. Nach der lockeren Runde durch den Rheinpark setzte beim Betreten der Hohenzollernbrücke urplötzlich heftiger Regen ein, der nach kurzen Pausen in durchdringenden Nieselregen überging und, als Finale Furioso, an der Deutzer Brücke auf der „schäl Sick“ waagerecht angepeitscht kam und Pirouetten in der Luft drehte.

Nach dem nicht ganz ernst zu nehmenden Motto „Ist der Läufer einmal naß, macht das Laufen doppelt Spaß“ lief ich völlig durchnäßt und grinsend durch das Ziel und direkt zum T-Shirt-Stand. So konnte ich mir jetzt wenigstens ein trockenes Shirt anziehen.

Anschließend holte ich mir auf der Marathonmesse meine Startunterlagen, mein Marathon-T-Shirt und meinen Kleiderbeutel ab, in dem sich u. a. ein Marathon-Kölschglas und eine Schirmmütze befand.

Ich bummelte noch ein wenig über die Messe, verbrachte den Nachmittag mit Frau und Kind, verdrückte abends eine große Portion Nudeln, fönte meine Laufschuhe wieder trocken und stellte einigermaßen entspannt meine Sachen für den großen Tag zusammen.

 

Auch am Morgen des Sonntages wurde ich erst etwas nervöser, als es zeitlich etwas enger zuging. Schließlich wollten wir mit dem Zug von Rösrath zur Messe nach Köln-Deutz fahren. Es ging aber alles glatt. Um kurz nach halb 10 kamen wir an der Messe an und drängten uns mit zahlreichen anderen Läufern und Begleitern zur Kleidersackabgabe. Nachdem dies überstanden war und die nächste lange Schlange vor den Toiletten lauerte, suchten wir lieber die Dixi-Klos neben der Messe auf, wo die Schlange kürzer war.

Nachdem dort alle dringenden Geschäfte erledigt waren, wurde es Zeit, sich zu den Startblocks zu begeben und sich von der Familie zu verabschieden.

Der Start erfolgte nach bisheriger Marathonbestzeit sortiert zeitlich versetzt aus 8 farblich unterschiedlichen Startboxen. Ich war in der vierten, blauen Startbox einsortiert, rutschte aber versehentlich eine Box vor in die orangene.

Ich war erstaunlicherweise kaum nervös, mein Puls im normalen Bereich.

Gegen viertel vor 11 setzte sich „mein“ Teil des Feldes in Bewegung. Schnell noch einmal über den Zaun gehüpft, die Blase entleert und wieder einsortiert. Kurz vor den Startmatten fiel das Feld in den Laufschritt und meine Familie war etwas erstaunt, daß ich schon an ihr vorbeilief.

Kurze Zeit später sah ich links meinen Hagener Laufschuh-Händler des Vertrauens stehen und grüßte. Er grüßte zwar zurück, konnte mich aber wohl nicht „einsortieren“.

Das Feld setzte sich recht langsam über die Deutzer Brücke Richtung Altstadt in Bewegung und meine Zielzeit von unter 4 Stunden konnte ich eigentlich schon nach dem ersten Kilometer abhaken, denn den passierte ich nach ca. 6:25 Min. statt nach 5:40. Auf den nächsten ein, zwei Kilometern verlor ich noch einige Sekunden, konnte dann aber mein Tempo laufen und den Rückstand zwischen 55 und 70 Sekunden halten. 

Dies ging auch zunächst gut.

Der Puls blieb, wie auch im Training bei diesem Lauftempo, im unteren 150er-Bereich.

Ich lief vor mich hin, versuchte die Anfeuerungsschilder der Zuschauer zu lesen und etwas von der Umgebung mitzubekommen. Rhythmisch trommelnde Percussiongruppen jagten mir so manchen Schauer über den Rücken.

Apropos Schauer: der Wetterbericht hatte ziemlich schauerliches Wetter angesagt.

Es war jedoch sonnig mit einigen Wölkchen und Temperaturen um 20 Grad. Also fast optimal – vielleicht ein wenig zu warm und zu windig.

 

Kilometer 10 passierte ich nach 57:48 Minuten, einem Schnitt von 5:46 und 1:08 Minuten über der angepeilten Durchgangszeit.

Irgendwann, wohl so zwischen Kilometer 10-15, spürte ich ein Stechen unter den linken Rippen, zu dem sich leichte Knieschmerzen, leichte Magenschmerzen und beginnende Erschöpfung gesellten.

Ich nahm ein wenig das Tempo heraus und ungefähr bei Kilometer 17 zum ersten Mal Maxim Energy-Gel, das ich im „Handgranaten“-Gürtel mitführte. Bis dahin hatte ich an den Verpflegungsstationen nur Wasser zu mir genommen.

Am dicht bevölkerten Rudolfplatz bei Kilometer 20 standen meine Lieben und winkten mir zu. Ich klatschte im Vorbeilaufen die Hand meiner Tochter ab und war auch schon wieder weg.

Die Halbmarathonmarke passierte ich bei 2:03:16 und lag dort 3:43 Minuten über dem Soll. Ich wußte schon ein paar Kilometer vorher, daß es keine Zeit unter 2 Stunden werden würde. Der bis dahin gelaufene Schnitt von 5:50 war aber noch im Rahmen.

Ich begegnete bis dahin unterwegs bereits einem barfußlaufenden Pumuckl, einem Baguettestangen-Standarten tragenden Obelix der schmaleren Kategorie und noch so einigen lustigen Gestalten. Zwei Läufer, die ich fast regelmäßig sonntags bei meinen  Trainingsläufen am Hengsteysee sah, traf ich auch.

Das Stechen unter den Rippen war nach einer Weile wieder weg, der Magenschmerz auch.

Was aus den Knieschmerzen geworden ist, habe ich vergessen. Vielleicht habe ich sie nicht mehr wahrgenommen, weil irgendwann, wohl ungefähr bei Halbzeit, meine Waden anfingen zu verkrampfen und teilweise empfindlich zu „ziehen“. Auch der rechte der Adduktoren verkrampfte sich. Ich hatte das noch nie und wußte gar nicht, daß das geht.

Normales Laufen war ab da nicht mehr möglich. Für mich ging es nur noch darum, irgendwie laufend ins Ziel zu kommen. Um das „läuferische Überleben“ sozusagen.

Ich mußte das Tempo so weit reduzieren, daß ich noch so eben laufen konnte, und aufpassen, daß ich nicht irgendwie schief auftrete. Der Laufgenuß blieb dabei natürlich etwas auf der Strecke....

Auf Zwischenzeiten achtete ich dann auch nach der Halbmarathonmarke nicht mehr.

Daß ich von immer mehr Läufern überholt wurde, war nicht schön, ließ sich aber nicht ändern. Zumindest ging es mir noch besser als den Läufern, die vereinzelt am Streckenrand versuchten, ihre Krämpfe wegzudehnen oder längere Gehpausen einlegen mußten.

Ich wollte aber auf jeden Fall laufend das Ziel erreichen und nahm mir nur an den Verpflegungsstellen eine Gehpause und trank dabei entweder Wasser zu meinem Gel oder nahm auch schon einmal Bananenstücke, ein bißchen Cola oder einen Becher Tee.

Zugegeben – während ich mich etwas gequält über die Strecke schleppte freute ich mich auf die kurzen Gehpausen.

Zwischen Kilometer 24 und 26, nördlich der Altstadt, kamen mir auf der anderen Straßenseite die Läufer entgegen, die gerade zwischen Kilometer 31 und 33 waren.

Irgendwann begann ich, die noch zu laufenden Kilometer in Runden um den Hengsteysee umzurechnen.

Kilometer 30 passierte ich nach 3:02:02. Der Schnitt lag da schon nur noch bei 6:04, da er zwischen Kilometer 21,1 und Kilometer 30 auf 6:36 abgesunken war – rund 15 Sekunden langsamer als mein Trainingstempo beim langsamen Dauerlauf!

Nach einer Schleife durch Nippes war ich dann auf der „anderen“ Straßenseite und kam den Läufern entgegen, die zwischen Kilometer 24 und 26 waren. Diese Aufteilung war mir schon lieber.

Statt dem Mann mit dem Hammer begegnete ich bei Kilometer 34 auf dem Rudolfplatz wieder der Frau mit der Tochter. Ich ließ mir ein Fläschchen mit Apfelschorle reichen und trieb meine krampfenden Waden weiter über den Asphalt.

Ich hangelte mich von Verpflegungsstand zu Verpflegungsstand, lief durch eng zusammenstehende, anfeuernde Zuschauerspaliere und kam langsam in die Altstadt.

Ich war mir sicher, das Ziel erreichen zu können. Ab da notfalls auf dem Zahnfleisch.

Trotzdem blieb die Euphorie aus. Bei Kilometer 39 intonierte eine Gruppe Zuschauer zur Quantanamera-Melodie, auch bekannt als „Es gibt nur ein‘ Rudi Völler“, die akustische Wegmarke „3 Kilometer – es sind noch 3 Kilometer. 3 Kilomeeeeeter“.

Meine Frau erzählte mir hinterher, daß sie und Chiara auch dort gestanden und mir aus unmittelbarer Nähe förmlich „Stefaaaan“ und „Papaaaa“ ins Gesicht geschrien hätten.

Ich habe nichts davon mitgekriegt. Lag es an der Konzentration auf den Zuschauer-Gesang oder auf die Beine? Hatte ich schon den Tunnelblick? Keine Ahnung.

Kurz nach Kilometer 40 hatte ich dann den Dom vor mir. Ein kurzes Stück über den Domplatz, durch die Altstadt und dann nach links: der Beginn der Deutzer Brücke.

Die Familie stand erneut am Straßenrand – jetzt hatte ich sie auch wieder registriert.

Ich legte ein klein wenig Tempo zu, lief über die Brücke und sah dann endlich das magische Wort ZIEL.

Beim Durchlaufen des Ziels riß ich die Arme hoch, drückte dann die Stopptaste der Uhr bei 4:28:07 und war froh, es geschafft zu haben und wieder ein paar Schritte gehen zu können. Die große Euphorie blieb aus, aber ein bißchen Pipi trat mir doch in die Augen. Als ich die Medaille umgehängt bekam, fühlte ich mich auch ein wenig wie ein Sieger. Ein Hauch Olympia. Ich drückte der Medaille, die in Anlehnung an die 8. Auflage des Köln-Marathons als „8“ gestaltet war, verstohlen ein kleines Küßchen auf.

Danach gab es eine Folie als Schutz gegen die Auskühlung und um das Handgelenk ein Bändchen, mit dem ich Zugang zum Verpflegungsbereich hatte – wie in einem „All inclusive“-Hotel.

Nach all den süßen Getränken freute ich mich jetzt einfach auf stinknormales Wasser. Leider war jedoch hinter dem Ziel nichts zu bekommen und man mußte erst vor dem Verpflegungs-dorf anstehen. Aber auch dort gab es kein Wasser und die „sportswater“-Flaschen waren schon alle weg. So mußte ich Apfelsaft und Cola trinken - wieder süß. Bananen konnte ich auch nicht erblicken und nach Müsliriegel war mir nicht.

Ich telefonierte kurz mit meinen Mädels, die sich auf dem Familienfest rumtrieben, und reihte mich im Messegebäude in die Schlange der Läufer ein, die auf eine Massage warteten. Die wollte ich mir auf jeden Fall gönnen. Dort erreichte mich auch die Finisher-SMS mit der offiziellen Endzeit 4:28:05. Zum Glück gab es im Wartebereich einen Wasserhahn, an dem ich endlich meinen Durst stillen konnte.

Ich quatschte mit zwei anderen Debutanten aus Olpe und Freiburg, ließ mir von zwei Damen die Beine durchwalken, holte meinen Kleidersack ab und ließ mich dann von Frau und Tochter beglückwünschen. Da die Kurze unbedingt noch einmal „für Mädchen“ mußte, ging ich mit ihr noch einmal ins Verpflegungsdorf zurück und testete die typischen Kölner Genüsse Flönz (Blutwurst) und Kölsch.

Damit ging das Abenteuer Marathon langsam dem Ende zu – Heimfahrt war angesagt.

 

Mein Fazit: eine durchwachsene Premiere.

Die Strecke war flach, meist asphaltiert und gut zu laufen; lediglich ein paar enge Kurven und Wind störten manchmal. Organisatorisch gäbe es sicher ein paar Kleinigkeiten zu verbessern – vom Internetauftritt über die Zielverpflegung bis zum Ergebnisdienst.

Der Streckenverlauf beeindruckte nicht durch landschaftliche, kulturelle oder historische Höhepunkte – da haben andere Citymarathons wie Berlin und Paris sicher mehr zu bieten – aber durch die begeisterungsfähigen, unermüdlich anfeuernden Zuschauer an vielen Stellen. Manchmal war das Zuschauerspalier so schmal wie bei einer Bergankunft der Tour de France. Dazu Sambarhythmen oder Musik aus der Dose. Die Bezeichnung „Erlebnismarathon“ paßte.

Leider konnte es nicht richtig genießen, da ich zu sehr mit meinen schmerzenden Beinen beschäftigt war.

Die führten dazu, daß ich den letzten Abschnitt zwischen Kilometer 30 und dem Ziel gerade mal in einem Tempo von 7:03 laufen konnte – da müßte man ansonsten schon befürchten, von rückwärtslaufenden Omas überholt zu werden. Der Schnitt für den gesamten Marathon lag bei 6:21,2; ungefähr mein Trainingstempo für lange, langsame Dauerläufe.

Der Durchschnittspuls von gerade einmal 149 im Vergleich zum sonstigen Wettkampfpuls zwischen 160 und 166 zeigte mir, daß eine Endzeit unter 4:15 Stunden ohne verkrampfte Waden sicher möglich gewesen wäre. Es ließ sich halt nicht ändern.

Aber ich habe mich zumindest durchgebissen und bin ein Finisher!

Dies ließ mich zuversichtlich in Richtung 2. Marathon blicken, denn mein letzter sollte dies nicht gewesen sein.

 

Ein paar Tage später kam ich auch schon wieder ganz gut die Treppen herunter...

 

 

Stefan Schirmer

 

 

(P.S.: Kommentare, Tips und so weiter gerne per Mail an laufmasche@gmx.de )