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Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.07.2002
Artikel von © Bernd Steinle

Im Stufenschritt
Stefan Minten aus Bonn ist der einzige professionelle Treppenläufer der Welt
(Foto: bonnaparte.de)

BONN, im Juli. Anfangs ist es nichts als Neugier. Was ist das für einer, der sein Geld damit verdient, daß er Treppen hochläuft? Der rund 300 Treppenrennen auf fünf Kontinenten hinter sich hat, der 38 Weltrekorde im Treppenlauf hält und der alle erwähnenswerten Treppen in seinem Wohnort Bonn aus eigener Anschauung kennt: Steile Treppen und flache Treppen, lange Treppen und kurze Treppen, weite Treppen und enge Treppen, Treppenhäuser und Freitreppen. Nichts als Treppen, das ganze Jahr. Und immer geht es nur nach oben.

Die Überraschung ist dann, daß es keine Überraschung gibt. Stefan Minten ist Mitte Dreißig, groß (1,92 Meter), schlank (80 Kilogramm), kommt mit dem Fahrrad und ist auch sonst erstaunlich normal. Fast enttäuschend normal, angesichts seines Berufes. Stefan Minten ist freundlich, umgänglich, erzählt viel und gerne, ein geselliger Typ, wie man ihn im Sportverein trifft oder in der Kantine. Auf den ersten Blick aber ist Stefan Minten keiner, der seine Verwaltungstätigkeit im Bundeswirtschaftsministerium aufgibt, um sich dem professionellen Treppenlaufen zu verschreiben - als einziger Mensch auf der Welt auch noch, wie er sagt. Diese Exklusivität ist es, die Gespräche über die Sportart Treppenlaufen oft so verlaufen läßt:

„Gibt es Zahlen darüber, wie viele Menschen Treppenlauf betreiben?" „Schwierig."

„Es gibt wahrscheinlich keine Organisationen, Verbände oder ähnliches?"

„Doch, es gibt die Federal International Professional Stairclimbing Organization. Die habe ich selbst gegründet."

„Aber es gibt doch nur einen einzigen professionellen Treppenläufer auf der Welt?" „So ist es." „Sie sind das einzige Mitglied?" „Ja."

Bleibt die Frage: Wie ist das alles so gekommen im Leben von Stefan Minten?

Minten war früher Leichtathlet, Langstreckenläufer, absolvierte Halbmarathons und Marathonläufe. Als er im Fernsehen erstmals das seit 1978 ausgetragene Treppenrennen im Empire State Buildung in New York sah, wurde ihm klar: Da mußte er hin. Er schickte seine Bewerbung ab und wurde eingeladen. Am 6. Februar 2000 rannte er mit 159 anderen Startern 86 Stockwerke im Treppenhaus des Empire State Buildings nach oben. Vierzig Minuten hatte er angepeilt, 18:38 benötigte er. Stefan Minten wurde 98., war sehr zufrieden und hatte ein neues Hobby entdeckt.

Die nächste Einladung führte ihn nach Malaysia, zum 421 Meter hohen Fernsehturm in Kuala Lumpur. „Das schwierigste Rennen überhaupt", sagt Minten. 40 Grad Lufttemperatur, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, erst mit 15 Prozent Steigung den Berg hoch, durch Dschungellandschaft, dann noch 2056 Stufen." Doch Minten war gut vorbereitet. Er hatte im Tropenhaus des Botanischen Gartens in Bonn trainiert, hatte sich akklimatisiert, war Runden durch die Gänge gerannt, hatte Kurzsprints eingelegt. Als Gegenleistung pappte er das Logo des Botanischen Gartens auf sein Trikot. Stefan Minten wurde „ungefähr 60.", war sehr zufrieden und begeistert über das öffentliche Interesse: Der malaysische Sportminister hatte den Lauf eröffnet, das Fernsehen ihn vier Stunden live übertragen.

Stefan Mintens Reise um die Welt ging weiter nach Moskau, zum Lauf auf den 540 Meter hohen Ostankino-Fernsehturm. Dort gewann er eine Pelzmütze, die Erstplazierten wurden mit einer Waschmaschine und einem Staubsauger bedacht. Für einen Treppenlauf ist das beachtlich. In Polen, sagt Minten, habe der Sieger einmal ein paar Felgen bekommen, in Nijmwegen in den Niederlanden erhielt der Erste einen Gutschein eines Sportgeschäfts über 25 Gulden (umgerechnet gut elf Euro), die Nächstbesten eine Zuckerstange. Geld gebe es nur in Kuala Lumpur zu verdienen, 7500 Euro, das höchste Preisgeld überhaupt, und auch in New York, wo der Sieger des Laufs auf das Empire State Building 250 Dollar erhält - plus einen Scheck über 5000 Dollar, der postwendend an eine wohltätige Organisation wandert.

Das ist nicht die solideste Basis für eine prosperierende Profi-Karriere. Stefan Minten schreckte das nicht. Als er im November 2000 bei der Weltmeisterschaft im Treppenlauf in Sydney antrat, gestreßt durch die schwierige Urlaubsplanung und geschlaucht vom Jet-Lag, da beschloß er: Es muß sich etwas ändern. Er setzte sich mit seinem Arbeitgeber zusammen, und sie kamen überein, daß Minten vom 1. August 2001 an drei Jahre lang ohne Bezüge beurlaubt wird. Seitdem ist Stefan Minten freier Unternehmer und vermarktet sich selbst. Er hat 300 Kleinsponsoren, davon 290 Sach-Sponsoren. Minten bekommt hundert Kilogramm Fleisch im Jahr vom Metzger, hundert Liter Eis von der Eisdiele, hundert Kilogramm Bananen vom Obsthändler, dazu zwei Kilogramm Gemüse und ein Kilogramm Äpfel in der Woche. Er bekommt Bücher, Papier, Kopien und Klebstoff, Aktenordner und Nagelpflege, Socken und Öko-Brot, Pomnmes frites und Espresso. Er wird unterstützt von einer Textilreinigung, einem Friseur, einem Sanitätshaus und dem Beethoven-Geburtshaus, das ihn mit Konfekt und CDs versorgt. Minten vermietet seine Socken, seine Hose und sein Trikot. Für ein Rennen, für ein Jahr oder auch für immer. Einmal hatte er ein Trikot, auf dem 86 Logos klebten.

Steile Treppen und flache Treppen, lange Treppen und kurze Treppen, weite Treppen und enge Treppen, Treppenhäuser und Freitreppen. Nichts als Treppen, das ganze Jahr. Stefan Minten mag das. Er läuft und läuft und freut sich, wenn er dabei nicht nur sein Gewicht, sondern auch Werbung tragen kann.

Das allein genügt nicht. Minten jagt nicht nur Sponsoren, er jagt auch Prominente. Er rennt mit Jürgen Drews auf eine Kirche in Bonn und mit Johannes B. Kerner die Treppe im Sport-Studio hoch. Er kann stundenlang Bilder zeigen, auf denen er Prominente trifft: Minten mit Gerhard Schröder, Minten mit Tom Cruise, Minten mit dem Präsidenten von Malawi, Minten mit dem Sportminister von Malaysia. Minten weiß, Prominente bedeuten Öffentlichkeit, und als selbständiger Treppenläufer gibt es nur eines, das genauso wichtig ist wie möglichst schnell die oberste Stufe zu sehen: „in die Medien kommen". Mintens Weltrekorde sind von der Art: Höchster Treppenlauf in einem Flugzeug. Da hatte er einen Piloten der Malaysian Airlines überredet, kurz die Reiseflughöhe von 11500 Metern zu verlassen und auf 11 800 Meter zu gehen. Minten rannte von der Economy in die First Class hoch. Seitdem ist er Weltrekordhalter.

Minten ist mindestens zur Hälfte Geschäftsmann, ein kompromißloser Verkäufer seiner selbst. Er nervt Fotografen mit ständigen Fragen, ob die Internet- adresse auf seinem T-Shirt auch zu lesen ist, er überklebt das Logo des Herstellers auf seinen Schuhen mit dem Hinweis: Die haben schließlich nichts bezahlt." Minten ist ein harter Verhandlungs- partner, feilscht um jede Art von Unterstützung und um jeden Kontakt. „Die ersten vier Sponsoren haben mich übers Ohr gehauen. Das ist mir danach nicht mehr passiert." Auf 75 000 Euro im Jahr schätzt er seine Ausgaben.

Minten ärgert es, daß diese Marketingaktionen oft intensiver wahrgenommen werden als seine sportlichen Leistungen. In den Niederlanden habe er bei einem Treppenlauf einmal zwei Olympiasieger geschlagen, sagt Minten. Wenngleich die ihre Medaillen im Kanu- und im Radfahren gewonnen hatten. Trainiert hat er vor dem 11. September 2001 im Langen Eugen, dem 114 Meter hohen ehemaligen Abgeordnetenhochhaus in Bonn. Bestzeit für die 29 Stockwerke: 4:13 Minuten. Seit dem Tag der Terroranschläge ist das Treppenhaus aus Sicherheitsgründen gesperrt, Minten mußte auf andere Trainingsmöglichkeiten in Bonn ausweichen.

Verglichen mit der phantasiereichen Vermarktung ist das Treppenlaufen tatsächlich ein trockenes Geschäft. Nur am Start, die ersten zehn Stockwerke, komme es gelegentlich mal zum Gerangel, sagt Minten. Danach geht jeder seiner Wege, in seinem Tempo, auf seine Weise. Manche versuchen es auch auf allen vieren, mit Handschuhen. Davon hält Minten nicht viel. Er hat zwei paar Laufschuhe, eines für harte, eines für weiche Treppen. Die Schrittlänge paßt er den jeweiligen Treppen an, sie reicht von einer bis zu fünf Stufen. Während des Laufs kreisen seine Gedanken nur um Fragen wie: Wie weit noch, wie viele Stockwerke noch? „Man versucht sich abzulenken, zumal die Luft in den meisten Treppenhäusern nicht gerade prickelnd ist." Minten ist kein Treppenläufer aus Leidenschaft, er hat eine recht nüchterne Beziehung zu seinem Beruf. Ein Lieblings-Treppenhaus? „Treppenhäuser sind in der Regel alle nicht so toll."

Das hält Stefan Minten nicht davon ab, im Oktober dieses Jahres die Teilnahme an einem Lauf im CN-Tower in Toronto anzustreben, dem mit 553 Metern höchsten Bauwerk der Welt. Stefan Minten wird auch dort nicht gewinnen, er wird auch kein Preisgeld erhalten. Aber er wird wieder ein Stück Welt gesehen und einige Menschen kennengelernt haben, und das ist ihm ebenso wichtig wie die sportliche Seite. Die Träume des Treppenläufers Stefan Minten sind: „Einmal mit Nelson Mandela laufen. Oder einmal im Weißen Haus in Washington laufen." Und es geht auch eine Nummer kleiner: „Guido Westerwelle wäre auch schön. Der ist in der Vermarktung spitze." Stefan Minten steht nicht in der Gefahr, zum Treppen-Junkie zu werden. Er benutzt gerne Rolltreppen, und er steht auch dabei. „Und wenn's geht, nehme ich sowieso den Aufzug."

© Bernd Steinle

websites:
www.stairman.org
www.treppenlauf.com
www.stefan-minten.de
 

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